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Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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war sie frei und ledig. Trotzdem kam ihr das irgendwie unwirklich vor, sie hatte das Gefühl, dass auch die Totenkammer und die Gruft nicht existiert hatten. Chloe zog sich aus und kletterte in die Wanne. Das Wasser war lauwarm und wahrscheinlich schmutzig, aber bestimmt noch sauberer als sie.
    Ihr Haar war ihr im Grunde immer noch ein Rätsel. Es wirkte nicht gerade europäisch, und sie wusste nicht, wie sie es pflegen sollte. Darum machte sie es noch einmal nass, kämmte es durch und überzeugte sich, dass sie alle Spinnweben und Spinnen daraus entfernt hatte. Anschließend schrubbte sie sich mindestens eine Stunde lang die Goldfarbe vom Leib. Zu guter Letzt malträtierte sie ihren Körper an jeder ihr zugänglichen Stelle mit Cheftus vorsintflutlichem Rasierer. Mit Dutzenden kleiner Schnittwunden übersät, krabbelte Chloe wieder aus der Wanne, bemüht, keine Blutflecken auf irgendwelchen weißen Flächen zu hinterlassen.
    Als die Wunden aufgehört hatten zu bluten, spazierte sie splitternackt ins Schlafzimmer, wo sie die Laken zurückschlug. Die Decke roch nach Sonne und war zu weicher Samtigkeit geschlagen worden. Ein letztes Mal aufstöhnend, umarmte Chloe ein Kissen und schlummerte ein.
    Ningal schleuderte seine Schale in den Raum, wo sie scheppernd auf den anderen landete - aus Lehm, Kupfer, Gold oder Silber; mit Intarsien verziert, gehämmert, gebrannt, glasiert -, es waren Tausende und Abertausende, die letzte Ehrbezeugung der Mandanten des Gemeinwesens von Ur. En Kidu stand am Eingang zu dem Massengrab und verfolgte, wie die Mandanten vorbeizogen, ihre Schalen in die Gruft schleuderten und dann wieder die drei Stufen der Plattform erklommen.
    Die Sonne schien nicht bis ins Innere der Totenkammer, und der Weihrauch überlagerte den Gestank von totem und verwesendem Fleisch. Die Hitze brachte das Straßenpflaster rund um den Tempel zum Glühen, und die Menschen wälzten sich in einer verschwitzten, stinkenden Masse darüber weg, obgleich die Sonne erst seit zwei Doppelstunden aufgegangen war.
    Die Bevölkerung wartete ab, ob Asa verkünden würde, dass der Fluch abgewendet war. Ningal hatte alles in seiner Macht unternommen für die Menschen, die ihm am Herzen lagen; den
    Göttern sei Dank, dass anscheinend alles gut ausgegangen war. Kalam hatte überlebt, Chloe war verschont worden und der Gerechtigkeit Genüge getan.
    Nun war nichts mehr zu tun, als das ganz alltägliche Leben weiterzuführen. Wie sehr vermisste er seine Frau, die Wärme eines Hauses, in dem das Brot mit Liebe gebacken und das Bier voller Verständnis gebraut wurde. Er dachte nicht oft an sie; dazu gab es keinen Anlass, schließlich war sie schon vor vielen Jahren von ihm gegangen. Vielleicht sollte er verreisen, seine Kinder, Enkel und Urenkel besuchen. Eine Reise zu seinen sämtlichen Nachfahren sollte ihn bis an sein Lebensende beschäftigt halten.
    Er sah auf den Tempel. Wartete von nun an alles nur noch auf den Tod?
    En Kidu stand da wie eine in Bronze gegossene Statue des Gottes. Chloes Schicksal war besiegelt und bezeugt. Sie brauchte Ningal nicht mehr, und ihr junger Mann besaß die Seele eines Menschen aus uralter Zeit, so weise wusste er zu entscheiden. Ningal konnte die Geschichte, die Nimrod ihm erzählt hatte, kaum nachvollziehen: dass die beiden, Chloe und Kidu, aus einer anderen Zeit, von einem anderen Ort hierher gebracht worden seien, um diese zwei Körper zu bewohnen. Und doch hatte Ningal das Gefühl, dass es genau so gewesen sein musste. Wie in den Geschichten aus dem Einst spürte er die Wahrheit darin.
    Wozu sollte Ningal also weiterleben?
    »Richter Ningal«, hörte er eine Stimme.
    Er drehte sich um und grüßte den neuen Lugal. Gilgamesch war von stattlicher Gestalt, selbst wenn seine Wangen glatt rasiert waren. Eine Mode aus einem anderen Gemeinwesen, ohne jeden Zweifel. »Wie geht es dir, mein Junge?«
    »Wir haben eben unsere Schalen geworfen«, sagte er. »Mutter ist zu Hause.«
    »Wie geht es ihr?«
    Gilgameschs Augen waren pechschwarz und schwer zu lesen. Er war ein strenger Steuereintreiber, ein unnachgiebiger Führer, der ehrgeizig nach neuem Territorium und neuen Ufern strebte. Ningal hätte gern gewusst, ob ihn die Jahre wenigstens im Ansatz gezähmt hatten. »Todtraurig, Herr.«
    »Wie wahr, wie wahr.«
    »Ich glaube, sie würde sich freuen, ein paar alte Freunde wiederzusehen«, meinte er.
    Ningal sah ihn an. »Soll das eine Einladung sein, deine Mutter zu besuchen?«
    »Sie ist noch jung«, war die

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