Die Händlerin von Babylon
Das Eis selbst hat sich verändert.«
»Es muss noch andere Quellen geben! Die Flüsse können nicht beide am selben kleinen Ort entspringen! Wo steckt Lud?«
Der Gehilfe musterte ihn mit leidenschaftslosem Gesicht. »Lud hat zwei Posten zurückgelassen, um die Wasserfälle zu überwachen.«
Asshur senkte den Kopf. Natürlich würde Lud so handeln; er wusste schließlich besser als jeder andere, was der Verlust des Wassers für zukünftige Generationen bedeutete. Die Liste war lang. Schon sah Asshur junge Frauen mit Kindern in den runden Bäuchen durch die Straßen stolzieren. So viele. Wieder schaute er aus der Tür, auf die Stadt hinaus, bis er seine Furcht zum Schmelzen gebracht hatte. Leidenschaftslos und stark, so sah man ihn. Doch hier stand zu viel auf dem Spiel; an diesem einen Punkt verließen ihn Logik und Vernunft, bis er nur noch Panik und Angst empfand.
Dabei musste er Panik und Angst mehr als alles andere vermeiden, weil beides Alter und Krankheit beschleunigte. »Was ist mit den Versuchen, es neu zu erschaffen?«
»Ima arbeitet sich durch die gesamte Liste. Sie hat ihrer Mischung noch mehr Kupfer beigefügt, aber das hat auch nichts genutzt.«
Asshur holte tief Luft und beugte Brust und Arme. Noch mehr Gewichte, er musste seinen Körper besser trainieren, weniger essen, weniger schlafen und mehr Zeit am Töpferrad verbringen, damit seine Seele wieder Frieden fand. »Na gut. Danke, Ukik.«
»Ich werde dir melden, wenn Ima fertig ist.«
Asshur beäugte ihn über die Schulter hinweg und spürte, wie Hoffnung in seiner Brust erblühte. »Und wann wird das sein?«
»Heute Abend, eine Doppelstunde vor Mitternacht. Schätzt sie jedenfalls.«
Asshurs Blick kam auf dem Gerichtsgebäude zu liegen, wo ihn die edelsten Männer und Frauen aus seinem Umkreis erwarteten, die Gerechtigkeit walten ließen, eine würdige Stadt und Kultur erschufen . um sie dann Kindern zu hinterlassen, die mit Hilfe von Kindern weitere Kinder erzogen. »Was steht an?«, fragte er.
»In deinem Terminplan? Zuerst die Verhandlungen. Danach eine Beratung mit den Ingenieuren über Alternativen zu dem Kanalproblem.«
Asshur nickte.
»Später folgt eine Ratssitzung, die sich über den gesamten Nachmittag hinziehen wird.«
»Sehr gut, wir sehen uns dann in der Kammer.«
Der Gehilfe verneigte sich, eine Geste des Respekts, die Asshur unnötig erschien, aber wesentlich besser war als der bedingungslose Gehorsam, der in anderen Gemeinschaften eingefordert wurde. Außerdem konnte der Tag noch kommen, an dem Asshur allen Respekt, ehrlich oder vorgespielt, brauchen würde, den er einfordern konnte. Darum ließ er es zu, dass sich die
Menschen verneigten. O Götter, dachte er, und starrte auf die Stadt. Ukik schloss die Tür mit einem Luftzug, der Asshurs Bartspitze in Bewegung brachte und ihn am Nabel kitzelte.
»Dein Frühstück, Lugal«, rief Harta, die ihn eben erst zum Gemahl erwählt hatte. Er trat ins Haus, fröstelte kurz in der Kühle und ließ sich am Tisch nieder. Dem Brauch in seiner Familie folgend, hatte sie ihm nur eine kleine Mahlzeit zubereitet. Asshur aß immer nur so viel, wie in seine Handfläche passte, und auch das mit kleinen Bissen; wobei er darüber nachsann, wie der Samen sich in den Boden gesenkt hatte; wie lange er gebraucht hatte, um Wurzeln zu schlagen und zu wachsen; wie er Hitze und Fluten standgehalten hatte; wie fleißige Hände ihn geerntet und zubereitet hatten.
Heute aß er, wie er sich geschworen hatte, sogar noch weniger.
Nachdem er fertig gegessen hatte, trank er sein Wasser. Kein Wasser, wie es seine Vorfahren gehabt hatten, sondern gewöhnliches Flusswasser, durch Erhitzen gereinigt. Er trank, bis sein Magen gefüllt war, dann wusch er sich Gesicht und Zunge, bevor er jene Kleidung anzog, die ein Bürger, und zwar jeder Bürger dieser Stadt, trug.
Das einzige Zugeständnis an seine Position als Anführer war der gehörnte Hut, zwei schlichte Hörner zu beiden Seiten des spitzen Wollkegels, der seinen rasierten Schädel bedeckte, weil er schließlich nur ein Sterblicher war. Die ähnlich aussehenden Hüte der Götter waren mit mehr Hörnern besetzt. Harta bewegte sich mühsamer als sonst, so schien es ihm, und sie wirkte abgezehrt und müde. »Wie war Dor?« Den gestrigen Abend hatte sie mit ihrem zweiten Gemahl verbracht. Asshur war ihr dritter.
Harta war fruchtbar und darum mit mehreren Männern verheiratet. Asshur hoffte, dass als Nächstes ein Samen von ihm in ihr Wurzeln schlagen
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