Die Händlerin von Babylon
Höhlen gegeben hat?«
»Japheti ging manchmal auf lange Wanderungen, bisweilen über mehrere Tage hinweg, hoch in den Schnee.« Cheftu hatte diese Antwort aus Kidus lückenhaften Erinnerungen zusam-mengepuzzelt. »Mehr weiß ich nicht. Wieso ist das so wichtig?«
Asshur sah Cheftu an, und zum ersten Mal glaubte Cheftu ihm oder glaubte zumindest, dass Asshur seine eigenen Worte glaubte. »Unser Volk altert viel zu schnell, und es vermehrt sich zu schnell. Es fehlt uns an Wasser, an Getreide, an Arbeit. Wir mussten eine Polizei einrichten, die unsere Armen daran hindert, sich gegenseitig wegen einer Schale Wasser umzubringen.«
»Und du glaubst, es würde eure Probleme lösen, wenn alle von dem Wasser trinken könnten?«
»Ganz bestimmt. Vier Kinder pro Haushalt im Lauf von sechzig Jahren statt umgekehrt. Aber das Wasser muss von Geburt an eingenommen werden, denn es verlangsamt die Alterung nur ganz von Anfang an, nicht irgendwo in der Mitte. Uns zerrinnt die Zeit zwischen den Fingern.«
»Und was ist, wenn ihr nicht fündig werdet?«
Asshur presste die Hände zusammen. »Dann werden wir wie die Ratten übereinander herfallen. Dann werden wir unsere Menschlichkeit verlieren. Denn trotz unseres Wissens und unserer Abstammung sind wir nichts als Tiere.«
Cheftu wandte sich unter der Eindringlichkeit von Asshurs Worten ab, während er zugleich darüber nachsann. »Was ist mit den Standarten, von denen du gesprochen hast?«
Das Wasser roch für Chloe ganz normal, doch warum es so schaumig war, konnte sie sich nicht erklären. Es fiel nicht aus großer Höhe und wurde auch nicht aufgewühlt. »Ob jemand Seife reingeworfen hat?«, rätselte sie. Eine Fingerprobe verriet, dass es bitter schmeckte und bitterkalt war; von jener eisigen Kälte, die in der ersten Sekunde heiß und dann klirrend kalt wirkt. »Wenn ich das trinke, kriege ich in null Komma nichts Kopfschmerzen.« So wie von Margaritas mit gestampftem Eis oder einem zu großen Bissen Speiseeis. Irgendwie sah es aus wie das zusammengerührte Wasser zum Desinfizieren, mit der Wunden ausgewaschen werden. Wie hieß das Zeug noch?
Nachdem sie ihre Ehrerbietung gezollt, ihren Wächter abgestellt, keine Menschenseele entdeckt und begriffen hatte, dass dieser Bogen nicht ihr und Cheftus Weg nach draußen war, machte sich Chloe auf den Rückweg. Jedenfalls versuchte sie es, doch die Höhlenkammern gingen ineinander über, und alle Räume sahen fast identisch aus. Als sie zum dritten Mal in die Grotte mit den Wächtern stolperte, spürte sie leichte Panik in sich aufsteigen.
Folge der Kunst!
Gazellen auf einer Wand führten zu dem Porträt einer
Schwangeren im nächsten Raum. Von dort aus wanderte sie eine leicht ansteigende Treppe hinauf in einen weiteren Raum, an dessen Wänden eine Familie abgebildet war. Drei Frauen und ein Mann, vier Kinder und ein alter Mensch - jedenfalls den äußeren Merkmalen nach zu schließen. Aber andererseits, wie würden in diesem Fall zukünftige Generationen Picassos Gemälde deuten? »Gut, dass er keine Wände bemalt hat«, sagte sie.
Eine dreifache Gabelung in einem Durchgang. Die Fackeln brannten immer noch; Angst hatte sie keine, denn der Ort war friedvoll und angenehm. Wenn auch befremdlich. »Alice im Kaninchenloch«, murmelte Chloe vor sich hin. Selbstgespräche zu führen mochte senil wirken, doch solange sie ihre Stimme hörte, wirkte die Umgebung hier nicht ganz so ... intensiv.
Sie entschied sich für den mittleren Gang, der geradeaus führte. »Hier bin ich falsch«, erkannte sie, als sie an mehreren kleinen Räumen vorbeikam. Die Gänge öffneten sich in eine Grotte, groß wie ein Konferenzraum. An der Seite sah sie eine winzige Einbuchtung mit zwei aufrecht stehenden Tafeln.
Tatsächlich bestand die eine aus Ton, die andere aus Stein. Beide waren behauen, genau wie die Richtsteine in der Stadt oben. Die Tontafel sah aus, als hätte sie einige Zeit unter Wasser gelegen, die Schrift war verblichen, und sie war sichtbar kürzer als die steinerne.
Sie müssen uralt sein, dachte sie. Die Piktogramme waren noch als Bilder erkennbar und noch nicht zu jener Zeichenfolge verschmolzen, die man ihr im Haus der Tafel beigebracht hatte. Sie trat einen Schritt näher und merkte, wie eine Gänsehaut sie überlief.
Wurde sie womöglich beobachtet? Sie fuhr herum, konnte aber niemanden entdecken. Trotzdem ließ das unheimliche Gefühl nicht nach, sondern wurde stattdessen intensiver. Ich will hier weg, dachte Chloe, und folgte
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