Die Händlerin von Babylon
Abend um ein Haar niedergerungen hätte. Asshur war kein junger Mann mehr. Nicht im Entferntesten - aber er war dennoch gebaut wie ein Wrestling-Champion.
Ob es wohl ein unverzeihlicher Patzer wäre, ihn nach seinem Alter zu fragen, überlegte Chloe. Wahrscheinlich ein größerer Fauxpas, als sie sich leisten konnte. »Möchtest du ihn sehen?«
»Er kommt aus den Bergen, habe ich gehört?«
»Äh, ja«, bestätigte Chloe. Nämlich aus den französischen Alpen, wo er als Jean-François Champollion zur Schule gegangen war. Obwohl Cheftu sich vielleicht besser an Kidus Leben erinnerte als sie an das des Marschmädchens. »Darf ich fragen, warum?«
Asshur zögerte. »Ich möchte gern mit ihm reden. Die anderen warten schon, sie wollen zum Tor der Unterwelt.«
»Ist es wirklich das Tor zur Unterwelt?«, fragte sie.
Er verdrehte die Augen. »Ein Altweibermärchen, mit dem man kleinen Kindern Angst macht. Es heißt, dass jeder, der dort hinabgeht, entweder tot umfällt oder das ewige Leben verliehen bekommt. Ein Märchen für kleine Kinder.«
»Komm mit«, sagte Chloe. »Ich wecke Ch-Kidu.«
»Wach auf«, sagte sie mit einem Kuss.
»Chérie, selbst ich -«
»Bilde dir nur nichts ein. Asshur ist hier. Er will mit dir über die Berge reden.«
Cheftus Augen wurden groß. »Hier?«
»Nebenan. Darum flüstere ich ja auch.«
Cheftu setzte sich auf, um gleich darauf den Blick zu senken und festzustellen, dass er nichts anhatte.
»Ich sage ihm, du würdest gleich kommen«, beruhigte ihn Chloe, während sie wieder in den Empfangsraum huschte.
Asshur und Chloe standen in verlegenem Schweigen beisammen, während sie darauf wartete, dass der Lugal etwas sagte. So viel hatte sie in den sieben Jahren ihrer Reisen durch das Altertum gelernt. Könige sprachen zuerst. Punktum. Asshurs Miene war nicht zu deuten, er schien in seiner eigenen Welt verloren. Chloe merkte, wie sie sein Gesicht, seine Hände musterte. Attraktiv war er nicht, aber ... faszinierend. Zum ersten Mal seit Jahren verzehrte sie sich nach Stift und Zeichenblock, um ihn auf Papier bannen zu können.
»Du bist Khamitin?«, fragte er schließlich.
»Zum Teil.«
»Und der andere Teil?«
»Marschbewohnerin.«
Er nickte. Sein Kopf war kahl geschoren, sodass Chloe nicht zu sagen vermochte, ob er eigentlich schwarzhaarig, braunhaarig oder blond war. Seine Haut war gleichmäßig gebräunt, seine Brauen waren mitteldunkel und der Blick seiner erdbraunen Augen eigentümlich flach, so als wollte er keinerlei Gefühle verraten.
Cheftu öffnete die Tür, und Asshur begrüßte ihn. Erleichtert, wie Chloe feststellte. Sie unterhielten sich über das Wetter, tauschten Neuigkeiten aus den jeweiligen Städten aus, dann wurden Erfrischungen serviert. Chloe hatte keine bestellt, aber möglicherweise der Lugal. Es handelte sich um süßen, minzi-gen Tee, aber ohne Blätter - die einzige Verbindung zum modernen Nahen Osten, wie Chloe ihn gekannt hatte.
»Du kannst vor ihr sprechen«, versicherte Cheftu schließlich. »Was beschäftigt dich so?«
»Du bist ein Sohn Japhetis?«, fragte Asshur.
»Ein Urenkel«, berichtigte Cheftu. »Jepheti lebt immer noch. Er ist über das grüne Meer auf die Inseln ausgewandert.«
»Altert dein Volk?«
Cheftu zog fragend eine Braue hoch.
Asshur beugte sich vor. »Hat Japheti je etwas über irgendwelche Standarten verlauten lassen? Behauene Standarten? Die in der Erde stehen?«
Meint er jetzt Fahnen?, rätselte Chloe. Oder eher Tafeln? Wie solche vor Ningals Hof?
Nachdenklich schüttelte Cheftu den Kopf. »Nein. Aber Jephe-ti hat genau darauf geachtet, was er aß, und niemand durfte von seinem Wasser trinken.«
»Du hast sein Wasser!« Fast wäre Asshur aus dem Sessel aufgesprungen.
Cheftus schläfriger Katzenaugenblick wurde schmal. »Sein Wasser war zur Neige gegangen, noch bevor ich zum Mann wurde.« Er setzte sich auf. »Wieso fragst du mich danach?«
Wieder streifte Asshurs Blick Chloe. »Vor einer Verfluchten und Unwissenden werde ich nicht über heilige Angelegenheiten sprechen.«
»Sie ist zur Hälfte Jepheti«, wandte Cheftu ein. »Und nur zur Hälfte Khamitin.«
Chloe biss sich auf die Lippe, sonst hätte sie beide angefaucht, dass sie schließlich noch im Raum war.
Asshur erhob sich. »Das kann ich nicht.« Er sah sie an. »Nicht aus mangelnder Achtung vor dir, Herrin, damit erweise ich nur den Wünschen meiner männlichen Vorfahren Respekt. Kham wurde verflucht. Und verbannt. Er hatte keinen Anteil an der
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