Die Händlerin von Babylon
also einen Inzest?«
»Und nicht nur das: Vergewaltigung, Entführung -«
»Ich will gar nichts weiter hören.« »Schlaf, wenn du kannst«, sagte er. »Ich werde heute Nacht über uns wachen. Uns wird nichts passieren.«
»Feiert mit uns!« Der laute Ruf riss Chloe aus dem Schlaf. Sie schlug die Augen auf und sah eine Gruppe volltrunkener Männer auf Nimrod und Cheftu einlallen. »Es ist unanständig, nicht mitzufeiern.«
Blinzelnd erkannte sie, dass die Männer nackt waren und auf der Suche nach weiblicher Gesellschaft. Cheftu verdeckte Chloe mit seinem Leib, sodass man sie hinter seinem breiten Rücken kaum sah.
»Lasst sie in Frieden!«, mischte sich ein Mann lautstark ein. »Es sind Fremde, keine Einheimischen!«
»Aber sie sind hier«, widersprach einer der Nackten - er war mit Teerflecken besprenkelt wie ein Holsteiner oder Dalmatiner. »Sie wollen es doch, sonst würden sie schließlich nicht im Park sitzen. «
»Es sind meine Gäste«, sagte der Mann und wandte sich an Cheftu. »Bruder, verzeih, dass ich dich so lange warten ließ. Bitte, bitte, kommt doch ins Haus.«
Die Nackten waren erst unentschlossen, ließen sich letztendlich aber doch überzeugen, weil der Mann - ein Wildfremder -alle in der Gruppe aus Ur küsste wie lang vermisste Verwandte und sie dann ins Haus scheuchte. Dann verriegelte er die Tür. »Sie werden nicht vergessen, dass ihr hier seid«, sagte er. »Aber jetzt habt ihr wenigstens eine kleine Chance.«
»Vielen Dank«, sagte Nimrod. »Wir kommen aus Ur und -«
»Wenn ihr nicht in Shapir geboren seid, könnt ihr uns unmöglich verstehen«, fiel ihm der Mann ins Wort. »Sobald sich der Himmel aufhellt, werden wir euch runter an den Fluss und auf ein Schiff schaffen. Nach Kish?«, fragte er.
Jemand hämmerte gegen die Tür. »Schick die Leute raus!«
»Sie sind hier drin und wir wollen sie haben!«
Nimrod und Cheftu begriffen sie - die Forderung - gleichzei-tig.
»Schick sie raus, sonst schlagen wir die Tür ein!«
»Er ist so groß, dass er es mit seiner Rute schaffen könnte!«
Die Kommentare wurden hörbar derber. Ihr Retter winkte sie hastig herbei, und die fünf Erwachsenen verbarrikadierten die Tür auf beiden Seiten - nur für den Fall, dass die Angeln nachgaben oder der Riegel von draußen angehoben wurde.
Chloe schaute zum Dach auf. Wenn diese Kerle ins Haus wollten, brauchten sie nur über die Mauer zu klettern und sich in den Innenhof fallen zu lassen.
Der Mob draußen wurde immer größer. »Was schlägst du vor?«, fragte Nimrod den Mann.
Bis zur Morgendämmerung war es noch lang hin; die Menge draußen wurde zunehmend lauter und ungestümer. »Sie verhalten sich unserer Sitte gemäß«, erklärte ihr Gastgeber. »Das Gesetz ist auf ihrer Seite.«
»Was für ein Gesetz?«, fragte Cheftu.
Der Mann stöhnte. »Es war ein Fehler, sich hier niederzulassen, aber hier wurden Lehrer gebraucht, und Kish ist von Anwälten überlaufen, darum bin ich umgezogen. Die Gesetze hier sind ... pervers.«
»Was ist das für ein Gesetz?«, mischte sich Chloe ein. »Wieso ist es pervers?«
»Das Gesetz der Gastfreundschaft«, antwortete Nirg unvermittelt. »Überall sonst gebietet das Gesetz der Gastfreundschaft, dass ein Gast noch aufopferungsvoller beschützt werden muss als die eigenen Familienangehörigen. Aber in der Stadt der Toten, in der Welt Nergals, steht das Gesetz der Gastfreundschaft auf Seiten der Menge. Wenn man einen Gast hat, gilt es als Ehre, ihn mit dem Pöbel zu teilen.«
»Woher weißt du das?« Ihr Gastgeber sah sie erstaunt an.
»Ich heiße Nirg, nach Nergal. Meine Mutter starb nach meiner Geburt. Mein Vater hat mich gehasst.«
Chloe packte Cheftus Hand. »Riechst du das Feuer?« »Sie haben die Eingangstür angezündet!«, kreischte Lea.
»Hast du irgendwas zum Tauschen?«, fragte Cheftu den Mann. »Oder sollten wir -«
»Auf gar keinen Fall«, schnitt Chloe ihm das Wort ab. »Stellt die Leitern dort drüben hin. Wir schleichen über das Dach nach nebenan und von dort aus weiter über die Dächer, bis wir zum Hafen kommen.« Sie sah den Mann an. »Wäre das möglich? Ist bis dahin alles bebaut?«
Er nickte. »Ich muss trotzdem bleiben, denn dies ist mein Heim. Ein Feuer ist nichts Ungewöhnliches, es ist ein Zeichen für Nergals Missbilligung.«
»Sie werden dich vernichten«, beschwor ihn Cheftu. »Das sind keine Menschen mehr, es sind wilde Tiere, die in Rudeln durch die Nacht ziehen.«
Ihr Helfer zog die Achseln hoch. »Es ist mir so
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