Die Händlerin von Babylon
schlafen.«
»Finster, nicht wahr?«, meinte Nimrod zu ihnen.
»Er ist der Schnitter«, antwortete Nirg. »Das wissen selbst wir in den Bergen.«
Shapir, eine Hafenstadt am Tigris, war mit Stock und Stein, mit Leib und Seele Nergal, dem Gott der Toten, geweiht.
Der erste Hinweis darauf waren die Grenzpfosten gewesen, auf denen Nergal dargestellt war, komplett mit Sense und Kapuze, zur Warnung, dass jeder Angreifer einen unwiderruflichen Tod sterben würde. Es war eine kleine Stadt, was Chloe nicht weiter verwunderte. Trotz des breiten Zugangs zum Fluss
- von Shapir aus fuhr man mit dem Boot bis nach Kish, denn hier verbanden sich die beiden Flüsse - war es ein gespenstischer Ort.
»Was für ein höllischer Gestank«, bemerkte sie halblaut.
»Schwefel«, bestätigte Cheftu. »Und Bitumen.«
»Bleiben wir hier?«
»Wenn wir nach Kish wollen, bleibt uns nichts anderes übrig«, antwortete Nimrod. »Die Ebenen nördlich von Kish sind die einzigen in Shinar, die noch frei sind.« Ihre kleine Gruppe hatte sich von den anderen abgesetzt und eine Vorhut gebildet, um die Ankunft der übrigen rund fünfzig Auswanderer vorzubereiten.
»Wenn wir von zu Hause weglaufen, müssen wir hier also unterschlüpfen«, vollendete Chloe den Gedanken laut.
Das Zwielicht senkte sich bereits; es war eindeutig besser, sich in die Stadttore zu wagen, ganz gleich, womit sie bemalt waren, als so nahe der Wüste und dem Gebirge mit all ihren Gefahren im Freien zu nächtigen.
Das rief sich Chloe immer wieder ins Gedächtnis, je näher sie der Stadt kamen. Die Mauern waren knallrot bemalt, als wären sie in Blut getaucht.
»Ihr kommt gerade rechtzeitig zu den Mondfeiern!«, krakeel-te ihnen der schon berauschte Torwächter entgegen. »Heute Abend ist Nergals Todestag!«
»Ihr feiert seinen Tod?«
»Er ist der Gott der Toten, es wäre doch unsinnig, seinen Geburtstag zu feiern, oder?« Der Wächter lachte. »Heute Abend gibt es Bier und Brot umsonst, und die Tempelhuren auch.« Er zwinkerte ihnen zu. »Ihr könnt schlafen, wo ihr wollt, so machen es die Einwohner auch!« Dann wankte er lachend davon.
Nirg, der es ansonsten ausschließlich ums Essen ging, gab eine Erklärung ab: »Dieser Ort ist böse. Schau, er klebt einem an der Haut.« Sie streckte ihren mit schwarzen Fladen überzogenen Fuß hoch. »Das ist passiert, als ich auf der Straße gegangen bin.«
Nimrod legte den Arm um sie. Lea stellte sich auf der anderen Seite neben ihn. »Ich gebe ihr Recht, irgendetwas stimmt nicht mit dieser Stadt«, sagte sie.
Cheftu studierte die Mauer, zwischen den Augen - wo Chloe mit der Pinzette eine sichtbare Trennungslinie gezupft hatte -eine steile Falte. »Nergal herrscht über den schwarzen See. Was bedeutet das?«, fragte er.
Chloe schnüffelte. Sie war nicht umsonst in Saudi-Arabien aufgewachsen. »Schwarzes Gold.« Nirgal war schon hineingetreten. »Petroleum.«
Alle starrten sie an - mit ihrem absonderlichen Wissen über Raffinerien, Veredelung und den alles entscheidenden Benzinpreis - in solchen Moment begriffen alle, dass sie anders war als sie. »Öl«, wurde sie deutlicher. »Man findet es hier überall.«
Die Straßen waren voller halbnackter, volltrunkener Einwohner. Die Musik klang ziemlich schräg, die Menschen wirkten seltsam, das Essen verdächtig und die Gespräche verwirrend. Immerhin fanden sie einen Park, in dem man schlafen konnte, einige als Brot und Obst erkennbare Nahrungsmittel und öffneten ein paar versiegelte Bierkrüge.
Tanzen, Lachen, Vereinigung. »Das hier ist eine ausgewachsene Orgie«, meinte Chloe zu Cheftu. »Ich glaube, ich finde das irgendwie abstoßend.«
Er sah sie überrascht an.
»Nein, was diese Leute treiben, ist mir egal ... ich fühle mich einfach nur ... unrein. Als könnte ich ein Bad brauchen. Die Absichten sind falsch. Hier geht irgendwas Merkwürdiges vor. Das spüre ich genau.«
Nirg und Lea kauerten zusammen. Nirg hatte nichts gegessen, sie hielt Wache, und in ihren Augen spiegelten sich die Fackeln der Einheimischen.
»Du hast ganz Recht«, flüsterte Cheftu ihr ins Ohr. »Hier wird gefeiert, dass Nergal seine Tochter entführt und sie in die Unterwelt verschleppt hat, um sie ... zur Frau zu nehmen.«
»Ich dachte, dies sei sein Todestag?«
»Das ist es auch, Chérie. L’automne kommt ins Land. Nergal scheint zu sterben -«
»Und seine Tochter ist die Wiedergeburt des Frühlings.«
»Genau. Die bei ihrer Wiederkehr mit Nergals Nachkommen schwanger geht.«
»Wir feiern
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