Die Händlerin von Babylon
Tausende von Ziegeln gingen Tag für Tag durch die Öfen. Dies waren die Ziegel für die Außenverkleidung. In ihren Tagträumen arbeitete Chloe sich zur Malerin hoch, sodass sie fast den ganzen Tag sitzen konnte. Bis dahin bestand ihre Aufgabe darin, in die Knie zu gehen, so viele Ziegel wie nur möglich aufzunehmen - etwa acht, von denen jeder gut zwei Kilo wog -, die Ziegel zum Maler zu bringen, dort in die Knie zu gehen, um die Steine abzuladen, sie anschließend aufzustapeln, damit der Maler es leichter hatte, dann wiederum in die Knie zu gehen, um einen Arm voll getrockneter Ziegel aufzunehmen, die sie dann zu der Schubkarre trug, mit der die Verkleidungssteine dorthin gebracht wurden, wo man sie vermauern würde. Anschließend ging es zurück zum Ofen.
Chloe war immer schlank und fit gewesen, auch in den Jahren in Jerusalem hatte sie sich so in Form gehalten, wie man es ihr beim Militär beigebracht hatte, doch dies war eine ganz neue Erfahrung. Und das mit praktisch leerem Bauch. Eine freundliche Kollegin hatte ihr etwas von Dattelpalmen gesteckt. Datteln, dachte Chloe. Darum riecht es so ekelhaft im Lager, alle haben Durchfall von den grünen Datteln. Und es stimmte . überall lagen Haufen. Fliegen, Ratten, Wanzen - sie war froh, dass sie in der Tagschicht arbeitete, da konnte sie wenigstens sehen, wohin sie trat. Dies war die abstoßendste Umgebung, in der sie je gelebt hatte.
Während sie zu ihrem Lager zurückgetaumelt war, hatte sie zwei oder dreimal beobachtet, wie es zum Kampf um Schlafplätze, Feuer oder Wasser gekommen war. Schaulustige verfolgten jubelnd und ohne einzugreifen, wie sich die Gegner von Beleidigungen in eine Prügelei steigerten. Erst wenn beide bewusstlos auf dem Boden lagen, war der Kampf vorbei.
Wir leben wie die Ratten, dachte Chloe, als sie die Zeltstadt hinter sich gelassen hatte und - hoffentlich - auf dem Fleck zusammengebrochen war, wohin Cheftu kommen würde. Nicht allzu lang danach senkte sich Kühle herab - es wurde Nacht. Cheftu erschien mit etwas rohem Getreide und ... Datteln. Nicht grün, nur ein bisschen. »Wir haben uns noch nie darüber unterhalten, aber ich werde ein Loch graben, damit -«, setzte sie an.
»Dieses Gespräch brauchen wir auch jetzt nicht zu führen«, fiel ihr Cheftu ins Wort. »Ich werde das Loch graben. Du schläfst.«
Als sie mit Bauchweh und Durchfall wieder aufwachte, führte er sie an das Loch. Wenigstens gab es reichlich Wasser.
Nach drei Tagen hatte Chloe die Grenze ihrer Belastbarkeit überschritten. Ihr Durchfall hatte sich zu etwas Schlimmerem gesteigert und sie fürchtete auszutrocknen. Am vierten Morgen schaffte sie es nicht mehr aufzustehen.
»Ich glaube, du hast die Ruhr«, befand Cheftu. »Du musst weg von hier.«
»Wohin?«
»Das weiß ich nicht«, sagte er. »In Kish hättest du wenigstens Essen und ein Obdach gehabt. Chérie, es tut mir so Leid, dass ich dich in diese Lage gebracht habe. Ich -«
Sie legte einen Finger auf seine Lippen. Nur mit äußerster Anstrengung gelang es ihr, die Hand zu heben. Ruhr war eine gefährliche Krankheit, selbst im zwanzigsten Jahrhundert. »Ich habe den Vorschlag gemacht.«
»Gott hat uns nicht hierher geführt, damit wir in diesem stinkenden Loch sterben«, sagte er. »Den Albtraum eines Narren erbauen, um der Strafe der Götter zu entrinnen! Wir wandern weiter nach Norden, es ist mir gleich, ob wir auf Nimrod stoßen oder nicht. Ich lasse nicht zu, dass du ... noch kränker wirst.«
Sie schlummerte weg oder fiel in Ohnmacht. Vom Gefühl her war es das Gleiche. Irgendwie hörte sie Cheftu noch sagen, dass er zurückkommen würde, er würde jemanden in verantwortlicher Position auftreiben.
Sie wurde von widerlichen Träumen geplagt: Kakerlaken, die, um Platz kämpfend, übereinander wegkrabbelten. Ratten, die vor Hunger übereinander herfielen. Chloe erwachte, es war dunkel und Cheftu noch nicht zurück. Sie kroch zu ihrem Loch. Dort fand Cheftu sie. »Wir sind gerettet!«, triumphierte er. »Ich weiß jetzt, wer all das ersonnen hat! Wir können bei ihnen wohnen, weit ab von all dem hier.«
Hört sich gut an, dachte sie.
»Sie haben Arbeit für uns, keine Sklavenarbeit, sondern gehobene Aufgaben. Chloe - Chérie, ist das Blut?«
Sie nickte.
Chloe erwachte in einer anderen Welt.
Im Tempel Esagila.
Hierher drang die Sonne nicht, dafür brannten SesamölFackeln, und sie lag auf einem frischen Palmwedel-Bett. Ihre unvorstellbar verdreckten Kleider waren verschwunden, ersetzt durch
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