Die Händlerin von Babylon
dem Mund wieder auf den Teller. Sein Vater wandte sich ab. Nimrod schaute auf sein Essen. Er vermisste die Bergmenschen ... ihre Ehrlichkeit, ihre Schlichtheit, den Sinn, den das Leben in den Bergen stets hatte. Dort kämpfte man darum, am Leben zu bleiben, dort genoss man die Morgendämmerung und das Zwielicht, dort schätzte man eine Frau, die Feuer machen konnte, und dort beschützte man den Mann, der einem den Rücken frei hielt.
Jeder hatte das gleiche Ziel, nämlich angenehm zu leben, die Götter nicht zu erzürnen, die Kinder, die Tiere und sich selbst zu ernähren.
Allerdings konnte dort niemand lesen oder schreiben; aus diesem Grund war Nimrod in die Stadt zurückgekehrt. Er war Jäger und liebte die Berge, doch er brauchte die Energie der Stadt.
Er wünschte, er könnte Ur noch einmal gründen. Ganz von vorn aus dem Lehm stampfen.
Und diesmal alles richtig hinkriegen.
»Schaut! Dort ist er!« Ezzi deutete in den Himmel. Die Männer, die ehrwürdigen Priester aus dem Sin-Tempel, starrten hoch ins Dunkel. »Er ist ganz neu. Ich glaube, heute scheint er die vierte Nacht.« Sie schauten lange und angestrengt in den Himmel. Der anwesende Exorzist hielt seine Lehmkopie der Schafsleber hoch und deutete damit in verschiedene Richtungen. Murmelnd, den Kopf in den Nacken gelegt, berieten sie sich. So einen Umhang brauchte er auch, dachte Ezzi. Dann würden alle wissen, dass er ein Sterndeuter war. Dunkel wie die Nacht, besprenkelt mit den Zeichen von Sternen und Mond, bis zum Boden reichend und mit einem raschelnden Goldsaum besetzt.
»Nächste Woche beginnt das neue Jahr«, sagte einer von ihnen zu Ezzi. »Bis dahin wirst du diesen Stern jede Nacht beobachten. Wir werden die Omen werfen, um festzustellen, welche Geheimnisse die Götter für uns bereithalten.«
»Ja, ihr Herren.« Er verbeugte sich.
»Behalte ihn gut im Auge, mein Junge. Wir werden mit dem Sterndeuter des Lugal darüber sprechen, sobald er eingetroffen ist.«
»Ja, ihr Herren.«
»Lass es uns wissen, wenn er seine Position verändert oder zu einer anderen Zeit aufgeht. Egal was.«
Ezzi konnte seine Aufregung kaum mehr im Zaum halten.
»Bist du von Beruf Sterndeuter?«, erkundigte sich einer der Männer im Umhang.
»Ja - ja, Herr.«
»Arbeitest du für jemanden?«
Er räusperte sich. »Noch nicht, ich habe gerade das Haus der Tafel abgeschlossen. Allerdings habe ich schon Angebote von verschiedenen Geschäftsleuten in der Stadt.«
»Ich verstehe.« Der Mann wandte seinen Blick wieder dem Himmel zu, und alle schwiegen.
Ezzi begriff, dass er damit entlassen war. Er hatte gehofft, man würde ihm ein Entgelt oder etwas Vergleichbares anbieten; er sehnte sich so nach einer Badewanne, aber offenbar würden sie ihm nichts geben. Nicht diesmal, ermahnte er sich. Beim nächsten Mal würden sie garantiert zahlen. Immerhin hatte er einen neuen Stern entdeckt! Sogar der Lugal wäre begeistert!
Er überquerte das Dach und stieg die Treppe hinunter. In jedem Stockwerk bewachten mit Speeren bewaffnete Priester die Eingänge; gewöhnlich wurden dafür die größten und regelmäßig die am besten aussehenden Männer gewählt. Die Priester standen über allen anderen Bewohnern von Ur, sie waren von den Göttern mit den schönsten Körpern beschenkt worden.
Was man von den Priesterinnen leider nicht behaupten konnte. Ezzi hatte einige Dienerinnen der Götter gesehen, die aussahen, als würden sie die sieben Tore Kurs bewachen, statt im Hof der Götter zu tanzen. Er setzte seinen Weg um den Tempel herum fort. Schon waren die Nachtgärtner unterwegs, um die schmalen Bewässerungsgräben auszuräumen, die alle Wege säumten und die zahllosen, in der Abendbrise wogenden und rauschenden Palmen wässerten. Das Licht der Öllampen erhellte das Blau oder Rot oder Grün oder Gelb an den Mauern des Stufentempels. Ezzi schritt die Stufen hinab.
Vielleicht würde ihm ja der Lugal persönlich Arbeit anbieten? Vielleicht wäre er so beeindruckt und so froh, dass er Ezzi zu Hause aufsuchen würde. Nein, schnaubte Ezzi. Der Lugal persönlich würde bestimmt nicht auftauchen, aber eventuell würde er ja einen Schreiber oder einen seiner Herren schicken. So etwas war schon vorgekommen. Ezzi beschleunigte seine Schritte. Seine Mutter war heute Abend nicht daheim; die Woche vor Neujahr gehörte mit zu den einträglichsten in der Taverne. Falls tatsächlich ein Schreiber kommen sollte, wäre der Zeitpunkt ideal.
Er würde sofort heimgehen und diesen Sklavinnen
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