Die Händlerin von Babylon
Fensterjalousien.
Gnade?
Chloe taumelte aus der Kammer mit ihrem atemberaubenden Weihrauchgestank auf die Straße.
Als Nimrod sie am Arm berührte, fuhr sie vor Schreck beinahe aus ihrer Haut. Ich bin wahrhaftig aus der Haut gefahren, dachte sie. Und in wessen? »Einen Spiegel, ich brauche einen Spiegel. Bitte.«
Nimrod musterte aufmerksam ihr Gesicht. »Natürlich, ich bin dir gern behilflich. Aber Chloe, nur die Ensi besitzt einen Spiegel.«
»Dann brauche ich Wasser. Damit ich mein Spiegelbild sehen kann.«
In ungeziemend großen Schritten eilten sie zum Stadttor und von dort aus weiter an die Ufer der Bewässerungsgräben. Die Gerste spross zum Himmel empor, unter dem kritischen Blick der Wächter, die nach Hinweisen auf Rost - Samana - auf den Ähren Ausschau hielten. Beim leisesten Anzeichen dafür würde die Stadt panisch Gegenmaßnahmen ergreifen.
Chloe war all das egal. Sie musste endlich wissen, wie sie aussah.
»Klarer als hier ist es nirgends«, beteuerte Nimrod, als er ein paar Schritte vor ihr am Rand eines Bewässerungsgrabens anhielt. »Komm schauen.«
Eine Kingsley lässt sich nicht unterkriegen, ermahnte Chloe sich. Mit diesem Satz habe ich mich in den letzten paar Jahren verdammt oft in die Scheiße geritten. O Gott - Nimrods Hand auf ihrem Arm hielt sie in der Balance, während Chloe sich hinkniete, die Hände in den feuchtwarmen Uferdamm stemmte und die Augen aufschlug.
Entgeistert starrte sie in das Gesicht, das ihr entgegenblickte. Minuten verstrichen, ohne dass sie die Augen auch nur einmal abgewandt hätte. Schließlich sprach sie, langsam und leise: »Meine Mimi hat mich einmal nachts davor gewarnt, als sie am Weihnachtsabend zu oft vom Punschkuchen genascht hatte. Sie hat mir erklärt, dass meine Familie über lange Zeit hinweg Plantagenbesitzer gewesen seien. Natürlich war bei all den kessen jungen Sklavinnen und den lüsternen alten Sklavenbesitzern das Blut ein wenig durcheinander geraten. Sie hat mir prophezeit, dass dieses Blut irgendwo in meinen Adern fließt, ohne dass ich sagen könnte, wann es sich zeigen würde. Aber das hätte sie sich bestimmt nicht träumen lassen!«
Nimrod schaute gemeinsam mit ihr in den Fluss, und Chloe betrachtete zum ersten Mal sein Gesicht, betrachtete es zum ersten Mal wirklich, mit Augen, die das zwanzigste Jahrhundert gesehen hatten. Mit seinem seidenschwarzen Haar, den quecksilberschnellen Augen und den wohlproportionierten, eleganten Zügen wirkte er fast ostindisch. Und sie, sie ...
»Ich bin schwarz. Na ja, jedenfalls dunkel. Cheftu wird mich nie im Leben finden. Selbst wenn er hier landen sollte, würde er mich nie im Leben erkennen. Dazu habe ich mich zu sehr verändert.«
»Du bist nicht dunkel. Ein Teil deiner Eltern war wohl dunkelhäutig, doch der andere war hell«, widersprach Nimrod. »Sieh nur deine Haare an.«
Sie betrachtete ihr dunkles, dichtes, schweres, aber eindeutig nicht krauses Haar. Dann beugte sie sich dichter über das Wasser, um ihre Augen besser zu sehen. Grün, das inmitten der dunklen Haut umso strahlender leuchtete. Doch Nimrod hatte Recht, sie war keine Schwarze. Eine Mulattin mit höchstens mokkabrauner Haut und Gesichtszügen, die . tja, die eindeutig ihre waren. Wie hatte das Gesicht des Mädchens aus den Marschen wohl ausgesehen? An Chloes Gesichtszügen schien sich überhaupt nichts verändert zu haben, nirgendwo war eine Spur von dem anderen Mädchen zu erkennen.
Chloe war immer noch groß, immer noch schlank und immer noch mit großen Füßen ausgestattet. Sie ging in die Hocke und blickte über den Wasserlauf auf den flachen Himmel. Oder das flache Land. Egal, eines war so flach wie das andere. Auch wenn eines grün und braun und das andere blau war. Dennoch besaßen beide die Topographie eines Pfannkuchens.
Nimrod ließ sich neben ihr nieder. »Jetzt bist du die andere, stimmt’s?«
Sie nickte. »Ich bin Chloe.« »Sie war auch Chloe.«
Sie sah ihn an. »Ja, vermutlich.«
Er schaute ihr in die Augen. »Du siehst verändert aus, irgendwie ängstlicher. Und deine Augen haben eine andere Farbe bekommen. «
»Eine andere Farbe?« Ihre Augen waren stets grün gewesen -egal unter welchen Umständen.
Er legte den Kopf schief und betrachtete sie mit unbeteiligter Neugier. »Normalerweise ist eines grün und das andere braun, aber im Moment sind beide grün.«
»Ich hatte verschiedenfarbige Augen?«, fragte Chloe. Was hatte das zu bedeuten? Was .
»Sehr hübsche, nebenbei bemerkt. Bestrickend«,
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