Die Händlerin von Babylon
Bruder die Klasse an. »Gibt es noch irgendwelche Fragen?«
Chloe hob die Hand. »Wie kommt es, dass keine Frauen auf der Liste sind?«
Shama hatte Mitleid mit Puabi - nicht weil sie sich nicht ausreichend vergnügt hätte, sondern weil sie sich einsam gefühlt hatte, als sie hinterher feststellen musste, dass Kidu nicht zurückgekehrt war.
Er wusste, wie sehr die Einsamkeit schmerzte. Natürlich litt sie unter einer anderen Art von Einsamkeit als er, aber im Grunde war es die gleiche Empfindung. Darum kämmte er ihr besonders liebevoll das Haar, rieb ihr Öl in die Haut und reichte ihr nur die allerbesten Feigen.
»Ich kann nicht glauben, dass er mich allein gelassen hat«, meinte sie nach einer Weile. »Ist es eine andere Frau?«
Shama schüttelte den Kopf; der En hatte die Regeln, die Pua-bi ihm gesetzt hatte, peinlich genau beachtet: jede Frau jedes Mal nur einmal zu besuchen. Falls sie dabei nicht schwanger wurde, dann war das nicht zu ändern. Die Folgen schienen Puabi nicht zu bekümmern. Bald würde ohnehin ein neuer Abschnitt des Jahres anbrechen, und dann durfte nur noch Puabi dem En beiwohnen.
Immerhin sollten die Kinder in der kalten, ruhigen Jahreszeit
zur Welt kommen, nicht in der Hitze der Erntezeit.
»Hab ein Auge auf ihn, Shama«, sagte sie nochmals. »Gestern Nacht war er sehr krank, glaube ich. Im Ernst, ich habe das Gefühl, dass er um ein Haar gestorben wäre. Plötzlich hörte er auf zu atmen und blieb lange vollkommen starr liegen. Ich bin während des Wartens eingeschlafen. Offenbar hat der Atem irgendwann wieder eingesetzt.«
Er schob goldene Reifen durch ihre Ohren.
»Selbst wenn er En ist, kann er mich nicht einfach ... mittendrin allein lassen!« Der Atem, den sie Shama verärgert ins Gesicht blies, war scharf. Zwiebeln und Opium waren zu einem bitteren Gemisch fermentiert. Er würde Zimt in den Früh-stücks-Minztrank mischen und einen Klacks zerdrückter Datteln zugeben, um ihrer Zunge zu schmeicheln. »Obwohl ... ich kenne Kidu schon lange, und ich kann mir nicht vorstellen, dass er eine willige Frau allein lässt. Nicht einmal, wenn er krank wäre.« Sie schüttelte den Kopf, und Shama musste ihr das Diadem noch einmal aufsetzen, damit es gerade auf der geflochtenen und aufgewickelten Perücke saß.
Es klopfte. Sie packte seine Hand. »Wenn er es ist, dann bin ich nicht zu sprechen. Trotzdem sollte er eine Entschuldigung für heute Morgen vorbringen, und zwar eine gute. Aber worüber zerbreche ich mir eigentlich den Kopf?«, meinte sie dann, halb zurückgelehnt. »Immerhin bin ich die Ensi, ich kann jeden haben, den ich will.«
Das Klopfen wurde lauter. »Ich bin es! Rudi«, rief jemand von draußen.
Puabi sackte in ihrem Stuhl zusammen. »Ach. Sie.«
Die Schwestern grüßten einander, und Shama staunte wie jedes Mal, wie verschieden Menschen, sogar Schwestern, sein können. Puabi war dunkel, Rudi war hell. Rudi war untersetzt, Puabi war geschmeidig. Obwohl sie das gleiche Gesicht und denselben Geburtstag hatten, waren sie vollkommen gegensätzlich.
Bis man erfuhr, dass Puabis Vater grüne Augen und ihre Mutter schwarze hatte; wodurch sich die Verschiedenheit der Schwestern erklärte.
»Sieh nach ihm«, befahl Puabi ihrem Kammerdiener. »Und lass Wein bringen.«
Er wies einen Hilfspriester an, der Ensi Wein und ihrer Schwester Bier zu bringen. Rudi trank gern Bier zum Frühstück, das hatte sie ihm selbst erzählt. Puabi scherte sich nicht darum, was andere mochten oder verabscheuten; als Ensi war sie mit wichtigeren Dingen befasst.
Shama kam nur langsam voran; seit Kidu ihn gefällt hatte, war seine Hüfte steif. Vielleicht lag es auch am Neujahrsfest, wo er ständig Treppen hinauf- und hinuntergestiegen war. Die tieferen Gewölbe, wo die Kleider für die Statuen aufbewahrt wurden, lagen weiter weg, als er sonst während einer ganzen Woche zu Fuß ging, und er hatte die Entfernung fünfmal am Tag zurücklegen müssen. Ach, wie sehnte er sich nach den Tagen seines Urgroßvaters, als die Menschen nicht so schnell gebrechlich geworden waren und bis zu ihrem Sterbetag den Frauen beiwohnen konnten.
Doch leider war das Wasser der Lebendigkeit erschöpft; eine Folge der Großen Flut.
Shama trat in Kidus Gemächer. Seine Sklavinnen waren alle halb angekleidet und damit beschäftigt, seine Leinen zu säubern oder die Krauter für seinen Weihrauch zu mahlen. Er selbst war allerdings nicht in seiner Audienzkammer, und die Schlange der wartenden Frauen wurde immer länger und
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