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Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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gereizter. Die Sonne stand schon hoch am Himmel; der En hätte hier sein und seinen Pflichten nachkommen sollen. Wo steckte er nur?
    Shama humpelte weiter in die Amtsstuben der Tempelanlage. Allmählich stellte sich allenthalben das Tempo des Sommers ein, weshalb die Menschen sich langsamer bewegten, schneller aufbrausten und das Gras unter den Palmen von den Hintern der Bürger des Gemeinwesens platt gedrückt wurde, weil die Leute immer öfter rasteten.
    Shama überquerte die Euphratbrücke, die zu den Werkstätten der Tempel und zu den Lagerräumen führte. Gelegentlich wanderte Kidu auf der Suche nach neuen Eroberungen hierher, obwohl die meisten Frauen ihn aus eigenem Antrieb aufsuchten.
    Der En war weder bei den Gerbern noch in dem Lagerhaus, in dem die Ledergüter für den Tempel und dessen mehrere tausend Beschäftigte untergebracht waren. Auch bei den Färbern, Webern und Spinnern fand er Kidu nicht. Genauso wenig wie in deren Lagerhaus, das zur Zeit wie leer gefegt war, nachdem sich alle Welt zu Neujahr neue Kleider besorgt hatte. Die Ziegelmacher hatten ihn nicht gesehen; auch die Kupfer- und Silberschmiede schüttelten den Kopf. Shamas Hüfte gellte.
    Im Mittelhof, wo für den Fall, dass eine Ernte verdarb und neues Getreide ausgesät werden musste, in versiegelten Krügen Emmer, Gerste, Hülsenfrüchte und Samen aufbewahrt wurden, legte er eine Rast ein. Heute waren die Felder voller Arbeiter, weil die Sommergerste bewässert werden musste. Kidu war nirgendwo zu entdecken, er fand nicht einmal jemanden, den er fragen konnte, ob er ihn gesehen hatte.
    Schweiß ließ den Filz seines Rockes an seiner Taille festkleben. Unter einer Gruppe von Palmen erspähte er einen grünen Fleck. Weil niemand in der Nähe war, hinkte er hinüber und ließ sich fallen. Das Gras war kühl und die Erde immer noch weich. Gleich darauf war Shama eingeschlafen.
    Sein letzter Gedanke war höchst eigenartig, weil es ihm schwer fiel, manche Farben auseinander zu halten. Trotzdem war es ihm so vorgekommen, als hätten Kidus Augen heute heller geleuchtet als sonst.
    Ich bin einfach zu alt, ermahnte er sich. Ich werde zunehmend gebrechlicher, und nun lassen mich auch noch die Augen im Stich.
    »Du willst wissen, warum keine weiblichen Menschen auf der Liste standen?« Der Ältere Bruder blickte auf seine Abschrift. »Kann jemand Bruder Chloes Geist diesbezüglich erhellen?«
    Leise raschelnd sahen die Schüler einander an. Schließlich hob ein kleiner Junge die Hand.
    »Bruder Roo?«
    »Mehrere dieser Beschäftigungen können auch von Frauen ausgeführt werden.«
    »Auf der Liste steht nicht einmal Mutter. Göttin?« Chloe schaute die Knaben an, die sie aufmerksam beobachteten. »Ehefrau? Ganz zu schweigen von Priesterin, Filzmacherin, Näherin, Köchin, Bier-«
    »Buchhalter könnte auch als Buchhalterin gelesen werden«, meinte ein Junge.
    »Und Lugal, Matrose oder Tafelvater?«, hakte sie nach.
    »Natürlich nicht«, sagte der Ältere Bruder.
    Chloe legte ihren Griffel beiseite. »Dann muss ich leider gegen die Prüfung protestieren.«
    »Aus welchem Anlass?«
    »Weil ich mich nicht genügend vorbereiten konnte, da niemand mir gesagt hat, dass diese Prüfung sich ausschließlich mit männlichen Bezeichnungen befasst.«
    »Das kommt davon, wenn man ein Mädchen zur Schule gehen lässt«, murmelte ein Junge.
    Chloe drehte sich zu dem großen, kräftigen Burschen um, der an die sechzehn Jahre alt war. »Genau, dann kann man nämlich nicht mehr so leicht darüber hinweggehen, dass die Bevölkerung zur Hälfte aus Frauen besteht. Das kommt davon.« Sie sah sich im Klassenzimmer um. »Ich wette, wenn ihr eure Eltern fragen würdet, wer alles auf der Liste der Menschenwesen stehen sollte, dann würden sie mindestens zur Hälfte Frauen nennen.« Sie sah von einem Gesicht zum anderen. »Fragt nur mal eure Mütter und Väter, wenn ihr euch traut.« »Einwand stattgegeben!«, entschied der Ältere Bruder. »Die Prüfung wird morgen wiederholt.«
    Was zu lautstarken Protesten führte.
    »- und dann wird die Hälfte der Fragen weibliche Beschäftigungen umfassen. Allerdings«, fuhr er, Chloe ins Auge fassend, fort, »solltest du nicht voreilig frohlocken. Die andere Hälfte befasst sich mit Männern.«
    »Wie in der richtigen Welt, nicht wahr?«
    Ulu trat in den Hof; dieses Haus war ihrem ganz ähnlich. Das hieß, es war genauso angelegt. Damit endeten die Übereinstimmungen allerdings auch schon, musste sie zugeben. Eine lächelnde Sklavin

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