Die Händlerin von Babylon
tauchte auf und führte Ulu in den hinteren Raum, wo das Festmahl angerichtet war. Die übrigen Gäste waren noch nicht eingetroffen, und es war ihr ein bisschen peinlich, ihren Freier in dieser Umgebung zu küssen. Ihm hingegen keineswegs.
Wenn sie ihm in der Taverne begegnete, war er stets gut mit Bier geölt, hatte alle seine Anekdoten schon von sich gegeben und war aufgedreht, nachdem er sie seit dem Zwielicht mit anderen Männern beobachtet hatte. Hier war es noch hell. Guli hatte sie im Tageslicht geschminkt, eine Vorsichtsmaßnahme, für die sie ihm im Nachhinein sehr dankbar war.
»Ist es dir ein bisschen unangenehm, bei mir daheim zu sein?«, fragte er.
»Wo sind deine Verwandten? Du lebst doch nicht allein, oder?«
Er zuckte mit den Achseln. »Meine Frau ist auf Besuch bei ihren Verwandten, und sie hat die Kinder zusammen mit meiner zweiten Frau mitgenommen. Nach Eridu.«
»Da weht im Frühling ein angenehmer Wind.«
»Du warst schon dort?«
Ulu kicherte. »Nein, aber ich war mit einer Menge von Männern zusammen, während ihre Frauen dort waren.«
Er lachte und erläuterte ihr dann die Feier, wie serviert werden würde.
Jeder Teller war bemalt, registrierte Ulu. Die Becher waren aus Glas - sie hatte einmal einem Glasbläser beigewohnt, der ihr erklärt hatte, sie solle sich nur an ihn wenden, wenn sie Gläser brauche. Die Leinen waren gewebt und unvorstellbar weich. Sein Tisch war aus Holz - schier unbezahlbar. Die Stühle waren beschnitzt, nicht einfach nur zusammengenagelte Holzstücke.
Blumenschüsseln, Weihrauchschüsseln und kleine Schüssel-chen mit Wasser.
»Fingerschalen«, erläuterte er. »Ohne das Fett vom Essen ist jede Berührung viel angenehmer.«
Das hatte sie noch nie bedacht.
Er führte sie nach oben, wo jedes Zimmer gefegt war, wo überall Teppiche auf dem Boden lagen, wo vor jedem Fenster ein Vorhang flatterte, wo es noch mehr Blumen, noch mehr angenehme Düfte gab. Die Kleider wurden in Truhen aufbewahrt. Statt Fackeln brannten hier Lampen. »Meine Frau hasst es, Teerfackelflecken von der Farbe abzukratzen«, meinte er.
»Nach unseren Tändeleien in der Taverne hätte ich nie geglaubt, dass du einen so teuren Geschmack hättest«, bekannte Ulu.
»Genau darum mag ich dich«, antwortete er mit einem Kuss. »Du bist so köstlich charakterlos und schmierig.«
Ulu schaute sich in seinem eleganten, gemütlichen Heim um und senkte dann den Blick auf ihre Füße, die auf dem glatten, gefegten Lehmziegelboden standen. Schmutzig, schwielig, nackt. Der Saum ihres Kleides, das sie schon wochenlang trug, war fleckig, und unter dem Blumenduft und den Ölen konnte sie ihren Körper riechen. Ihre Fingernägel waren schwarz, ihre Perücke war billig und ihr Atem stank nach Zwiebeln.
Zum ersten Mal sah Ulu sich so, wie andere sie sahen, Ezzi allen voran. Und sie begriff, was Scham heißt.
Einen Tag lang hatte Cheftu bereits überlebt; einen Tag an einem fremden Ort mit einer fremden Sprache, fremden Gebräuchen und einem fremden . also, dieser Körper war eindeutig nicht sein eigener. Der Drang, der ihn beim Anblick jeder Frau bestürmte, die Angst um seine Position, der Zorn, der aufloderte, wenn ihm auch nur das Geringste in die Quere kam, standen in deutlichem Gegensatz zu jenem Cheftu, als den er sich kannte. All das gehörte zu Kidu.
Der Körper, den Cheftu jetzt bewohnte, war ein verlassener Körper, wofür Cheftu allerdings keinen Grund finden konnte. Die Gefühle und Neigungen waren ihm einfach hinterlassen worden. Cheftu würde dagegen ankämpfen müssen. Am hartnäckigsten dabei war der Wunsch, sich in jede Frau zu versenken, die ihm unter die Augen kam.
Was für ein Mensch war dieser Hohepriester eigentlich? Im Verlauf des Tages war Cheftu zu dem Schluss gekommen, dass er eine ganz neue berufliche Laufbahn eingeschlagen hatte: als Hohepriester des Mondgottes Sin, was zur Folge hatte, dass die Ensi, eine Frau namens Puabi, seine Vorgesetzte war. Und schon steckte Cheftu in Schwierigkeiten - weil er sie am Morgen allein zurückgelassen hatte. Kein besonders diplomatischer Abgang, musste er sich eingestehen. Und ein nicht eben verheißungsvoller Anfang. Vor allem, wo Kidu so viel für sie empfand.
Er musste davon ausgehen, dass Chloe hier war, dass es ihn hierher verschlagen hatte, weil sie ebenfalls hier gelandet war. In dieser Masse von dunkelhaarigen, dunkeläugigen Menschen müssten ihn die grünen Augen und das rote Haar im Nu anspringen.
Aber warum sollte sie in ihrem
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