Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
lustig», lacht Friedrich. «Gleich am ersten Tag hat er eine Zigarre aus dem Aschenbecher gemopst. Damals habe ich noch geraucht. Zum Glück waren die Kinder dabei und konnten sie ihm wegnehmen, sonst hätte er sie bestimmt verschluckt und wäre vielleicht einer Nikotinvergiftung erlegen.» Er zuckt mit den Schultern. «Na, immerhin verdankt er diesem
Malheur
seinen exzentrischen Namen.»
Er lacht, und mir fällt auf, was für schöne blaugrüne Augen Friedrich hat.
Wir sind am Stephansplatz angekommen, wo zahlreiche, im Kreis angeordnete Buden im fröhlich-bunten Glitzerdesign erstrahlen. Seit einigen Jahren findet hier «Pink Christmas» statt, ein kleiner schwul-lesbischer Weihnachtsmarkt, auf dem abends Travestiekünstler auftreten, aber tagsüber kein Gedränge herrscht. Bisher hatte ich allerdings weder abends noch tagsüber Gelegenheit, ihn zu besuchen.
Es riecht unwiderstehlich nach frischen Crêpes, Glühwein und gebratenen Würstchen. Das kulinarische Angebot beschränkt sich allerdings auf jeweils eine Bude, und der Besucher wird nicht von einer mächtigen
Geruchskeule
erschlagen, wie auf den großen Märkten.
«Dort drüben.» Friedrich weist mit der freien Hand zu einem offenen Marktstand unter weißer Plane, deren Spitze eine überdimensionale pinkfarbene Mütze ziert.
Staunend betrachte ich den Stand. «Beeindruckend!» Dass Solveig dort zu finden ist, muss er nicht erwähnen, denn Churchill zieht heftig wedelnd in diese Richtung.
Friedrich blickt mich warmherzig an. «Danke Ursel, dass du nicht schockiert bist», flüstert er mir noch schnell zu, bevor wir Solveigs Verkaufsstand erreichen.
Wäre ich Friedrichs Tochter auf der Straße begegnet, hätte ich sie nicht wiedererkannt. Sie ist sehr groß und schlank, trägt weite Jeans und eine knallrote wattierte Jacke, die bis zur Hüfte reicht. Um den Hals einen dicken rosaroten Zopfmuster-Schal und auf dem Kopf einen Zylinder mit rosa Stricküberzug und einem silbernglitzernden Hutband. Flüchtig betrachtet könnte man sie auch für einen jungen Mann halten. Sie war immer schon ein burschikoses Mädchen, das sich nie viel aus Kleidern oder Make-up gemacht hat. Erst beim zweiten Blick erkennt man ihr feingeschnittenes Gesicht, mit den langen Wimpern um die blauen Augen und dem vollen Mund.
«Na, Väterchen!» Lachend breitet sie die Arme aus, drückt ihn kurz an sich und mustert dann mich. «Sie sind doch … Frau Amberger?»
«Grüß dich, Solveig, wie schön, dich nach so vielen Jahren wiederzusehen … Dein Vater und ich haben uns zufällig getroffen … Toller Stand.» Ich betrachte die bunte Vielfalt an witzigen Hüten und Mützen in verschiedenen Formen und Schals für Kinder und Erwachsene. «Ein Modell schöner als das andere.»
«Vielen Dank. Freut mich, dass Ihnen meine Arbeiten gefallen.» Leicht verlegen schiebt sie ihren Zylinder zurecht.
«Deine Arbeiten!? Du hast alles selbst hergestellt?» Ich bin ehrlich überrascht, soweit ich mich erinnere, hat sie davon geträumt, Börsenmaklerin und steinreich zu werden.
«Hmm … Ich bin Modedesignerin geworden, müssen Sie wissen.»
«Beeindruckend!»
«Wir wollten nebenan einen Glühwein trinken», mischt sich Friedrich in das Gespräch. «Hast du vielleicht ein warmes Plätzchen für Churchill? Der alte Knabe möchte bestimmt ein Nickerchen machen.»
«Logisch! Komm hierher, Churchi», lockt sie ihn und deutet auf einen Pappkarton in der Ecke, der zur Hälfte mit Zeitungspapier gefüllt ist. Der Hund trottet willig dorthin und steigt behäbig in den Karton. Solveig legt ihm noch eine Decke drüber, was er sich offensichtlich gerne gefallen lässt.
«Bis später», verabschiedet sich Friedrich, hakt mich freundschaftlich unter und steuert den Glühweinstand an.
«Warum sollte ich schockiert sein?», frage ich, als wir die dampfenden Tassen in Händen halten.
«Wegen … Solveigs sexueller … Orientierung», antwortet er leise und lächelt mich verlegen an.
«Ach, hier im Glockenbachviertel begegnet man doch alle fünfzig Meter einem gleichgeschlechtlichen Pärchen. Selbst der Christopher Street Day findet im Viertel statt, und jetzt haben wir eben auch noch ‹Pink Christmas›.»
«Ja», seufzt er. «Zum Glück hat sich die Ansicht der meisten Menschen inzwischen geändert.» Friedrich hebt seine Glühweintasse: «Also, auf die … sexuelle Freiheit!»
«Unbedingt!», stimme ich lachend zu.
Wir nehmen beide einen großen Schluck.
«Reden wir von wirklich wichtigen
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