Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
Dingen: Wie verbringst
du
das größte Fest des Jahres?», möchte Friedrich wissen.
Mir entfährt ein tiefer Seufzer. «Erinnere mich bloß nicht daran!»
Friedrich runzelt die Stirn. «Stresst dich der Geschenkeeinkauf, oder gehörst du vielleicht zum exklusiven Club der Weihnachtshasser?»
«Könnte man sagen. Meinetwegen kann Weihnachten dieses Jahr ausfallen! Und das nicht nur, weil ich nach meinem Aushilfsjob als Packengel im Kaufhaus genug davon habe», antworte ich und gebe Katjas Coloradotannen-Drama zum Besten. «Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr sie sich auf genau diesen Baum versteift. Ihrer Meinung nach ist es ohne die depperte Tanne kein
richtiges
Weihnachtsfest. Als ob es darauf ankäme. Aber seit Hermanns Tod führt sie sich auf wie die Patriarchin, die unsere Familie zusammenhalten muss. Sie hat sich auch mit Madeleine gestritten, die gerade ein Foto-Praktikum absolviert und mit ihrem Chef über die Feiertage in die Karibik reisen darf.
Ich
spiele bei dem Zirkus nur wegen der Jungs mit. Meine zwei Enkelsöhne sind ja in dem Alter, wo sie noch ans Christkind glauben. Du hast keine Enkel?»
«Doch, Sarah, Roberts kleine Tochter. Ein niedliches Mädchen von vier Jahren, die seit der Scheidung bei der Mutter lebt, was ihn ziemlich mitnimmt.»
Auch Friedrich scheint das Thema zu beschäftigen. Er wirkt sehr nachdenklich. Nach einer kurzen Pause sammelt er sich und fragt: «Noch einen?»
«Gerne.» Ich kann gerade noch ein albernes Kichern unterdrücken. Der heiße Alkohol steigt mir anscheinend schneller zu Kopf als gedacht. Aber die Wirkung gefällt mir.
Als Friedrich Nachschub holt, wage ich einen Blick auf meine Armbanduhr. Oh! Eigentlich müsste ich los, Katja erwartet mich zum Abendessen, und die Plätzchen müssen noch glasiert werden. Ach was, sage ich mir, heute denke ich mal nur an mich. Und
ich
amüsiere mich gerade königlich. Was schon sehr lange nicht mehr der Fall war.
Friedrich kommt mit den Getränken und zwei leckeren Bratwurstsemmeln zurück. «Um den Alkohol zu neutralisieren», erklärt er und schaut mir tief in die Augen, als wir mit den heißen Getränken anstoßen. «Auf unser Wiedersehen!»
«Und auf den Zufall», ergänze ich.
«Diesen
Herrn
konnte ich immer schon sehr gut leiden», flachst er zum leisen Klirren der Tassen.
«Und, wo wirst
du
denn den Vierundzwanzigsten verbringen?»
«Ach, darüber streite ich seit Tagen mit meinem Sohn», antwortet er verhalten. «Solveig wird nach dem Ende von ‹Pink Christmas› mit den Standbetreibern und ein paar Freunden eine Art Abschlussfeier veranstalten. Robert scheint mächtigen Bammel zu haben, ganz alleine mit seinem betagten Vater und dem altersschwachen Hund vor dem Fernseher versauern zu müssen. Deshalb plant er ein riesiges Xmas-Fest im amerikanischen Stil, mit lauter Musik, Burger-Buffet und vielen Gästen. Seit Wochen schon überreicht er unseren Stammkunden Einladungen, die darauf ein wenig irritiert reagieren, wie ich mitbekommen habe. Kein Wunder, hierzulande ist Weihnachten noch immer ein Familienfest. Mir wär’s egal, aber Churchills wegen bin ich strikt gegen eine Party, er verträgt nämlich keinen Lärm. Ich müsste den Armen irgendwo einsperren oder mich mit ihm in ein stilles Kämmerlein verziehen. Kurz gesagt:
Ich
könnte auch gut ohne Heiligabend auskommen.» Er seufzt aus voller Brust.
«Ja, genauso empfinde ich es auch», stimme ich ihm zu. «Erst hetzt man durch die Adventszeit nach Geschenken, Coloradotannen und backt Unmengen Plätzchen, damit es auch bestimmt ein schönes Fest wird, um sich letztendlich in den Haaren zu liegen.»
«Wir sind Weihnachtsopfer!», erklärt Friedrich grinsend. «Manchmal ist es ein rechtes Elend mit dem Nachwuchs … Ja, wenn Churchill nicht mehr leben würde …» Er stockt, als wäre es unmoralisch, darüber nachzudenken.
«Was wäre dann?», frage ich neugierig nach.
«Dann … Hmm … Würde ich die Flucht ergreifen!» Er verzehrt genussvoll den Rest des Wurstbrötchens. «Irgendwohin, wo ich noch nie war. Ich würde nach … Paris, London oder New York reisen … Alles Städte, die ich immer schon mal kennenlernen wollte, es aber nie geschafft habe.»
«O ja, Paris könnte mir auch gefallen!», antworte ich übermütig.
Mit verstohlenem Schmunzeln auf den Lippen hebt er seine Glühweintasse und blickt mir tief in die Augen. «Also, auf Paris! Wir entfliehen bei Nacht und Nebel still und heimlich ins schöne Frankreich.»
«Auf Paris!»,
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