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Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)

Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)

Titel: Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Bluhm
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wenige Meter von meiner Wohnung entfernt und bis vierzehn Uhr geöffnet. Ich habe also genügend Zeit, ihn auch abzuholen, kein Problem. Danach ziehe ich mich um und könnte gegen drei bei euch antanzen. Ist das früh genug? Ich meine, wegen der Gans, die du doch für morgen vorbraten wolltest.»
    «Ja … Dafür ist reichlich Zeit … Aber …», antwortet sie zögernd.
    Ich spüre deutlich, dass sie noch etwas auf dem Herzen hat. «Existiert etwa doch noch irgendwo eine Problembaustelle?»
    «Ähm … Nein, nein, alles bestens», beeilt sie sich zu versichern. «Wir sehen uns also später.»
    «Ja, bis nachher.»
    Höchst seltsam, grüble ich nach dem Auflegen. Doch trotz aller Anstrengung komme ich nicht dahinter, was sie mir verheimlicht. Vielleicht hat mich der ganze Stress und die vielen Katastrophen in den letzten Tagen auch nur überempfindlich werden lassen, und ich wittere plötzlich hinter jedem Zögern ein neues Desaster. Wundern würde es mich nicht.
     
    07 . 50  Uhr  Bevor ich meine Handtasche in den Spind sperre, stecke ich noch mein Handy in die Hosentasche. Eigentlich sind Privatgespräche während der Arbeitszeit verboten, Zeit dafür ist ohnehin keine. Aber ich möchte heute unbedingt erreichbar sein. Meine Familie scheint zurzeit Katastrophen anzuziehen wie Christkindlmärkte Kinder, da riskiere ich lieber einen Anpfiff. Ich schnappe mir die Packengel-Mütze und eile zur Schicht. Lissy hat bereits sämtliches Verpackungsmaterial vorbereitet und wischt eben noch ein paar Staubfussel vom Tisch.
    «Morgen, Ursel … letzter
Saunatag
», scherzt sie vergnügt. «Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, wenn ich diese alberne Engelmütze nicht mehr tragen muss. Ansonsten ist der Job hier wirklich sehr angenehm, genau wie die Kolleginnen.» Sie lächelt mich freundlich an. «Bist du eigentlich nur für den Dezember eingestellt?»
    Ich stülpe mir die Mütze auf den Kopf. «Ursprünglich ja. Aber letzte Woche hat der Personalchef gefragt, ob ich in der Warenannahme weiterarbeiten möchte. Ich habe angenommen. Ein paar Stunden die Woche sind leicht zu bewältigen, und es ist ein willkommenes kleines Zubrot.»
    Lissy strahlt mich an. «Mich hat er auch gefragt. Dann sehen wir uns im neuen Jahr wieder …»
    Der erste Kunde tritt an den Packtisch und angelt seine Einkäufe aus der Tüte. Es sind die üblichen Last-Minute-Präsente: Parfüm, Parfüm und noch mehr Parfüm. Ich zähle neun Flaschen in unterschiedlicher Größe und Preisklasse. Entweder hat der Mann einen Harem oder massenhaft weibliche Verwandte. Neugierig blicke ich ihn an.
    «Für meine Angestellten», erklärt er mit verschmitztem Zwinkern, als habe er meine Gedanken erraten.
    «Selbstverständlich», antworte ich.
    «Moment …» Er kramt in der Tasche seines schwarzen Mantels und fördert kleine Namenskärtchen zutage, die er dann den unterschiedlichen Geschenken zuordnet. «Wenn Sie so freundlich wären und die mit den Schleifen befestigen würden. Sonst überreiche ich der Praktikantin aus Versehen den teuren Flakon, den ich für meine Chefsekretärin vorgesehen habe. Was äußerst fatal wäre.»
    «Verstehe», nicke ich.
    Die Duftwässerchen beschäftigen mich gut zwanzig Minuten. Auch danach entstehen keine Pausen, worüber ich heute nicht traurig bin, denn die Arbeit lenkt mich von den trüben Gedanken ab. Wenn auch nicht völlig. Denn ein Kunde trägt einen ähnlichen Kamelhaarmantel wie Friedrich, und sein Anblick versetzt mir einen kleinen Stich. Ich überlege, wie es ihm wohl geht, ob er den kleinen Churchill beerdigen konnte und danach wohlbehalten nach München zurückkam.
    Irgendwann ist es dann kurz vor zwölf. Ich gebe mir gerade besonders große Mühe mit dem allerletzten Päckchen der Saison und bekomme sogar ein kleines Trinkgeld überreicht, als Kinderstimmen zu mir dringen. «Omaaa! Omaaa!» Meine Enkel stürmen auf mich zu, gefolgt von Katja.
    Ich habe das Gefühl, mein Herzschlag würde kurz aussetzen. Himmlisches Weihnachtsglöckchen, welche Tragödie hat sich denn nun schon wieder ereignet? Wir waren doch bei ihr zu Hause verabredet. Sie trägt Jeans, einen dunkelblauen Anorak, ihr Haar ist schlampig zusammengebunden, und sie sieht nicht gerade schick aus. Immerhin sind die Kinder ordentlich angezogen, was mich einigermaßen beruhigt.
    «Alles in Ordnung», versichert Katja, als sie meinen nervösen Blick realisiert. «Die Kinder wollten dich nur gerne von der Arbeit abholen.»
    «Na, so was!»

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