Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
Jungs getobt hätte. Zudem quälte mich der Gedanke, dass im Grunde Katjas Weihnachtswahn und die depperte Coloradotanne der eigentliche Auslöser gewesen waren. Ohne die Tanne wäre ich alleine mit Friedrich an den Fohnsee gefahren, und Churchill würde vielleicht noch leben. Ich fühlte mich schuldig, und nur mit Mühe gelang es mir, mich daran zu erinnern, dass der Hund Herzprobleme und der Tierarzt ein baldiges Ende vorhergesagt hatte.
Der große Zeiger springt auf die Sechs. Es ist halb sieben, Zeit aufzustehen. Ich stelle den Weckalarm ab und rapple mich auf.
Das Leben geht weiter, heißt es doch. Meines um acht Uhr. Wo mich der Endspurt am Packtisch erwartet. Vier Stunden lang mit freundlichem Lächeln Päckchen fabrizieren und fröhliche Weihnachten wünschen. Keine Ahnung, wie ich das überstehen soll.
Benommen schlüpfe ich in meine Puschen, öffne die Vorhänge und werde von glitzerndem Weiß geblendet. Es muss die ganze Nacht über geschneit haben, denn alles ist zentimeterdick eingehüllt, und nur eine einsame Reifenspur durchzieht die schneebedeckte Straße. Dieses Jahr klappt es also mal wieder mit dem allseits erhofften weißen Weihnachten, und wenn ich nicht ständig an Friedrich und seinen verstorbenen Liebling denken müsste, fände ich es durchaus romantisch. Aber bei mir will einfach keine Weihnachtsstimmung aufkommen, selbst wenn die ganze Welt im Schnee versinkt.
Fröstelnd schlurfe ich in die Küche, um Kaffee aufzusetzen, entscheide dann aber doch, erst zu duschen und mich anzuziehen. So verschlafen und unkonzentriert wie ich mich fühle, würde ich sonst noch die Wohnung in Brand setzen. Und mein Bedarf an Katastrophen ist für die nächsten zehn Jahre gedeckt.
Damit ich mich nicht im Bad vertrödle, nehme ich die Eieruhr mit. Normalerweise schalte ich das Radio ein, aber ich kann keine Weihnachtslieder mehr ertragen. Und doch werde ich nachher im Job eine Überdosis abbekommen.
Ich genehmige mir eine luxuriöse Sieben-Minuten-Dusche. Während das heiße Wasser auf mich prasselt, spüre ich langsam meine Energie erwachen. Der Kaffee fällt heute etwas stärker aus, und ich habe sogar Appetit auf ein Stück Brot.
Als ich im Kühlschrank nach einem kräftigenden Belag suche, schrillt das Telefon in die morgendliche Stille. Augenblicklich schlägt mein Herz zwei Takte schneller. Wer ruft denn so früh am Morgen an? Noch dazu an Heiligabend, wo jeder damit beschäftigt ist, Christbaumkugeln am Baum zu verteilen oder die Füllung für den Gänsebraten vorzubereiten. Innständig hoffend, dass nichts Schlimmes passiert ist und alle meine Lieben wohlauf sind, stürze ich zum Telefon.
Es ist Katja.
«Mama?», begrüßt sie mich ohne ein «Guten Morgen», aber mit einem beunruhigenden Fragezeichen in der Stimme.
Meine Alarmglocken schrillen schmerzhaft auf. «Was ist los? Ist was mit den Kindern? Bist du krank oder Bernd?»
«Nein, die Jungs sind in Ordnung, wir auch. Jan-Georg und Eric-Anton wollten gestern Abend zwar nicht ins Bett und haben auch sehr unruhig geschlafen. Aber heute Morgen waren sie sehr früh wach und wollten Bilder von Churchill für Herrn Hirsch malen.»
Erleichtert atme ich auf. «Das ist ja süß.»
«Ich mache mir Vorwürfe, weil die Kinder vielleicht zu ungestüm mit dem armen Hund waren, und er deshalb … Du weißt schon …»
«Hmm. Ich habe auch die ganze Nacht gegrübelt, ob wir für den Tod des armen Tiers mitverantwortlich sind», antworte ich und beruhige sie mit dem, was der Tierarzt gesagt hat. «Außerdem war er ja tatsächlich sehr alt. Über einhundert Jahre, in Menschenjahren gerechnet. Friedrich war sicher auf seinen Tod vorbereitet, jedenfalls hat er mit mir darüber gesprochen. Obwohl es natürlich immer ein Schock ist.»
«Vielleicht sollten wir uns bei ihm entschuldigen …», fährt Katja fort.
«Wie meinst du?», unterbreche ich sie.
«Ich dachte, wir bringen ihm die Zeichnungen, eine gute Flasche Wein und einen weihnachtlichen Blumenstrauß vorbei. Damit er sieht, dass uns der Vorfall nicht gleichgültig ist und wir mit ihm fühlen.»
«Das ist eine schöne Idee, Katja. Das machen wir. Ich habe um zwölf Uhr Feierabend, dann kümmere ich mich um die Blumen. Moment … ich wollte ja auch die Gans abholen …»
«Sekunde, Mama, die Blumen besorge ich.»
«Lass mal, du hast genug anderes zu tun. Ich schaff das schon, mach dir keine Sorgen. Die Blumen kann ich telefonisch bei meiner Blumenhändlerin bestellen, der Laden ist ja nur
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