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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Drogerie antreten. Dadurch kam mir die Idee, wie wunderbar es sein müßte, eigenes Geld zu verdienen und nicht Stunde um Stunde in einem miefigen Klassenzimmer zu verdämmern. Aber ich wußte auch nicht genau, ob eine Lehre das Richtige war. Die Schule war ein ruhiger Parkplatz. Ich ließ mich ohne allzu große Aufsässigkeit von meiner Mutter zum Weiterlernen überreden. Heute denke ich, daß es nicht nur Ehrgeiz, sondern Liebe war, die sie zu diesem Standpunkt gebracht hatte. Für meine Mutter wäre es leichter gewesen, wenn ich Geld verdient hätte. Das ist eines der wenigen Dinge, die ich ihr positiv anrechne.
    Übrigens war ich ihr für die Elefantenkleidung am Ende noch dankbar. Hatte ich es zuvor nach Kräften vermieden, das Lama-Cape zu tragen (nur der besonders eisige Winter hatte bewirkt, daß ich die wärmende Wolle überzog), so kamen jetzt Zeiten, wo ich selbst an lauen Frühlingstagen nicht aus meiner Hülle schlüpfte.
    Herr Becker sagte, daß ihm unter allen schicken Jacken und Mänteln, die auf dem Pausenhof eine Modenschau veranstalteten, mein grauer Teewärmer am besten gefalle.
    »Du bist eine Individualistin, Maja. Ich war genauso wie du, ich wollte nie mit der Masse gleichziehen.«
    Obgleich er annahm, daß ich mich für das Elefantenkostüm freiwillig entschieden hatte, so wurde es jetzt durch seine Worte geadelt. Ich war beglückt, daß er dachte, wir hätten eine innerliche Gemeinsamkeit. Ich lächelte ihn an.
    Mein Wissen über die Liebe war theoretischer Art und stammte aus Büchern: >Anna Karenina< und >Madame Bovary<. Ich hatte davon gelesen, daß sich Frauen hingeben oder wegwerfen. In meinen Träumen war ich aber eine weltberühmte Sängerin, und Herr Becker konnte dankbar sein, daß er sich mir hingeben durfte.
    Als ich neulich diesen bemühten, aber spießigen Lehrer mit seiner braven Gattin in meinem Bus entdeckte, konnte ich nur den Kopf schütteln über meine damalige Einfalt. Übrigens hätte ich ohne jegliches Risiko der guten Frau Becker in die Handtasche langen können, die nach meiner Predigt und der Abgabe ihrer Spende immer noch offenstand. Aber Cesare sah mich im Rückspiegel und schüttelte mißbilligend den Kopf.
     
    Als ich mit sechzehn Jahren Cornelia kennenlernte, hatte Herr Becker ausgedient, nicht jedoch das graue Cape. Ich hatte es liebgewonnen. Meine Mutter schenkte mir zu Weihnachten jenen roten Mantel, den ich mir ein Jahr zuvor gewünscht hatte und den sie nun verbilligt kaufen konnte. Sie erkannte wohl, daß ich schon im zweiten Jahr als Elefantin herumlief und jetzt Anspruch auf etwas Eleganz hatte. Leider war es zu spät. Zum großen Leid meiner Mutter zog ich den roten Mantel nie an, ich wollte grau bleiben.
     
    In meinem Bus bin ich keine graue Maus mehr, sondern als eine Art Stewardeß verkleidet, dunkelgrünes Kostüm, weiße Bluse und rotes Seidentuch - also italienische Farben. Auch meine Schuhe sind rot; ständig muß ich den Touristen das Schuhgeschäft nennen, wo ich diese schicken Schuhe gekauft habe. In meiner Handtasche habe ich außerdem die Adressen eines deutschsprechenden Arztes und eines Pfarrers, obwohl letzterer nur ein einziges Mal verlangt wurde. Fleißig schreiben sie sich die Telefonvorwahl nach Deutschland auf, meine Hinweise auf Feiertage und Ladenschluß, die Postgebühren und sogar meinen diskreten Hinweis auf die üblichen Trinkgelder.
    Aber nach drei Stunden Fahrt, Besichtigung und diversen Fotostops, ist mein guter Rat längst vergessen, und sie schielen wieder ängstlich auf die vielen Nullen ihres Geldes. Es gibt allerdings auch Pedanten, die den Taschenrechner zücken; die sind mir auch nicht gerade ans Herz gewachsen, denn bei der Spende fehlt ihnen jegliche Spontaneität, und sie produzieren weder Schadenfreude noch feuchte Augen.
    Wenn Cesare guter Laune ist, fährt er mich mit dem dicken Bus nach Hause, was natürlich streng verboten ist. Anfangs hätte er niemals solche Extratouren unternommen, aber mit der Zeit habe ich seine Hemmungen abbauen können. Er steigt nie aus und trinkt einen Espresso in der rosa Villa, denn er scheint zu befürchten, Sodom und Gomorrha könnte sich hinter ihren Türen verbergen.
    Ich kläre ihn nicht darüber auf, ob ich allein oder in Gesellschaft lebe, ob ich Verwandte und Freunde habe. Meine bewegte Vergangenheit geht ihn nichts an; außerdem bin ich sicher, daß sie seine Phantasien und Unterstellungen bei weitem übertrifft.

Seladongrün
     
     
    Wenn Cesare ein Liebespaar im Bus

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