Die Häuser der anderen
stand ihr Mann vor ihr und hörte sie schluchzen. Er nahm sie in die Arme und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich weiß doch, ich weiß«, und Luisa sah über seine Schulter und blinzelte und dachte, du Idiot, gar nichts weißt du. Vom vielen Weinen fühlte sie sich ausgetrocknet, und dann bekam sie auch noch einen Schluckauf. Es dauerte eine Weile, bis sie etwas sagen konnte. Mit heiserer Stimme flüsterte sie: »Aber du musst dich bei mir entschuldigen.«
Männer, die pfeifen
S ie waren immer zu zweit anzutreffen, Herr Eisen und Herr Emmermann, ein ausgesprochen unattraktives Paar in den Fünfzigern. Beide waren klein, hatten Bierbäuche und Schnauzbärte. Auf ihren Gesichtern leuchteten feine Netze roter Äderchen, ihre Augen waren leer und grausam, ihre Stimmen quäkend. Alle anderen Mieter im Haus am Kuhlmühlgraben 38 hatten Angst vor ihnen.
Man konnte die beiden leicht verwechseln. Tagsüber war es in der Regel nur Herr Emmermann, dem es aus dem Weg zu gehen galt, denn Herr Eisen, mittlerer Angestellter der städtischen Verkehrsbetriebe, watschelte um acht Uhr morgens aus dem Haus – zu seinem Leidwesen war er gezwungen, den Bus zu nehmen, da sein Chef Wert darauf legte, dass seine Mitarbeiter sich umweltbewusst zeigten. Er musterte dann mit herablassender Miene alle, die freiwillig diese unbequeme Fortbewegungsmethode gewählt hatten. In jedem Fall tat er, was er für seine Pflicht hielt: Wenn er sah, dass ein gesund aussehender Fahrgast den Behindertensitz benutzte, dann jagte er ihn weg und schob irgendeine überraschte und verängstigte ältere Dame hin, der das ausgesprochen peinlich war. Für die Arbeit kleidete Herr Eisen sich in billige dunkle Anzüge, die er um vier Uhr vierzig, spätestens dreiviertel fünf, wenn er pünktlich heimkam, mit einer schlecht sitzenden Jeans und einem kleinkarierten Hemd tauschte. Sein Lebensgefährte Herwig – Herr Emmermann – konnte sich den Luxus leisten, den Tag bereits in Jeans und Karos zu beginnen, da er tagsüber zu Hause blieb. Im Sommer trugen beide gerne Shorts, die ihre weißen, stark behaarten Beine entblößten. Sie zeigten keine nennenswerten Gefühle, auffällig vital an ihnen war lediglich ihre Bösartigkeit.
Herwig Emmermann war gelernter Fachverkäufer für Elektrogeräte, aber die Technik hatte ihn überholt, und seit der gemütliche Laden, in dem er mit einem Kollegen herumgehockt hatte, zugemacht hatte, da es überall die großen Ketten gab, fand er keinen Job mehr. Es war nicht schlimm. So konnte er, der sich schon von Berufs wegen eher als Feingeist sah – wenngleich er weder Bücher las, noch Musik hörte, noch sich für Kino oder Theater interessierte –, die Tage mit Gartenarbeit verbringen. Das entspannte ihn. Während er düngte, umgrub und Hecken stutzte, dachte er sich Schikanen für die anderen Mieter im Haus aus. Und da auch Herr Eisen bei seiner Bürotätigkeit noch die Muße fand, die Gedanken schweifen zu lassen, sammelte sich bei den beiden einiges an Ideen, so dass sie, obwohl sie schon so lange zusammenlebten, abends immer noch Gesprächsstoff hatten. Sofern es das Wetter erlaubte, trugen sie ihren Plastiktisch und zwei Campingstühle auf die akkurat gemähte kleine Rasenfläche zwischen den herrlichen Beeten und berieten sich über ihre nächsten Schritte. Es gefiel ihnen, wenn sie bemerkten, dass ab und zu ein Nachbar, der zufällig das Fenster öffnete, sie im Garten sitzen sah, erschrak und sofort den Kopf wieder wegzog. Dass sie das Grundstück auf diese Weise ganz für sich allein hatten, verstand sich von selbst.
Die Namen, bei denen diese Nachbarn sie – natürlich nur unter sich – nannten, waren vielfältig: »Die Ekel«, »die Giftspritzen«, »die Blockwarte« waren nur einige. »Sie sehen andere Menschen nicht als ihre Opfer, sondern halten sie für Ungeziefer und zertreten sie ohne schlechtes Gewissen«, bemerkte einmal ein scharfsinniger Kurzmieter. Aber auch er gab diesen Kommentar nur flüsternd im Treppenhaus ab – an dem Tag, an dem er auszog. In der Regel begannen Mieter, die noch ein Mindestmaß an Selbstachtung besaßen, spätestens nach einem halben Jahr, sich eine neue Bleibe zu suchen – sechs Monate, in denen die Herren ihren Nachbarn angeblich zu große Pappstücke aus den Altpapiertonnen sortiert vor ihre Haustür zurückgelegt hatten, im Flur geparkte Kinderwagen oder Fahrräder draußen vor die Haustür stellten, wo sie gestohlen wurden, und die Treppeputzenden anpöbelten; sechs
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