Die Häuser der anderen
jetzt nicht.«
Ich stehe schwankend auf. Öffne die Tür zum Garten und lasse ihn raus. Er macht normalerweise nicht in den Garten, es ist sein Revier, aber diesmal muss es eine Ausnahme sein. Er rennt ganz nach hinten an den Zaun und beginnt zu kreiseln. Ich lege mich flach auf den Boden. Mein Herz rast. Ich muss würgen. Angle nach der Wasserflasche, trinke sie halb leer. Das war keine gute Idee, der Brechreiz ist sofort wieder da.
Langsam, sehr langsam geht es. Benno kommt wieder herein, um nach mir zu schauen, und ich durchforste die Schränke nach Putzmittel. Ich brauche wegen der vielen Pausen fast drei Stunden, bis ich alles wieder in den Originalzustand gebracht habe. Auf dem Perserteppich ist nur ein kleiner, feuchter Fleck zu sehen, der hoffentlich auch noch verschwindet, wenn alles trocken ist.
Zu guter Letzt bin ich wirklich unglaublich erschöpft. Ich gebe Benno frisches Wasser und lege mich wieder auf die beige Decke vor den Fernseher. Ich zappe herum. Esse Reiscracker und trinke Wasser. Dazwischen einen Schluck Whiskey, damit das Zittern nicht zu stark wird. Die Dokumentation über Gorillas wird tatsächlich wiederholt. Sie brauchen zum Nestbau nur fünf Minuten, schichten ein paar Äste und Zweige auf und legen sich hinein. Wenn sie morgens weiterziehen auf der Suche nach Futter, ist es leicht, ein neues zu bauen. Ich esse noch ein paar Cracker. Es ist noch genügend zu trinken im Haus, um mich Tag für Tag so runterzudosieren, dass ich Ende der Woche nichts mehr brauche. Vielleicht ist dieser Unterschlupf genau richtig für einen Entzug. Ich muss nur darauf achten, dass ich jeden Tag weniger trinke, und nicht mehr. Essen ist auch genug da. Mit den Nachbarn muss ich mir was überlegen. Die Idee gefällt mir, macht mir Hoffnung. Vielleicht schaffe ich es. Benno – was meinst du?
Die Häuser der anderen
T räume sind Fallen, dachte Gaby. Aber nur, wenn man nicht richtig mit ihnen umgeht. Sie hatte ihr Tempo verlangsamt und joggte jetzt vor dem Haus der Taunstätts auf der Stelle. Den großen weißen Würfel kannte sie in- und auswendig; dennoch war es ihr unmöglich, sich daran sattzusehen. Viele der Häuser am Kuhlmühlgraben waren schön – wer hier wohnte, hielt etwas auf sich –, aber dieses war regelrecht aufregend .
Völlig schnörkellos und schlicht gehalten, wirkte es trotzdem auf den ersten Blick elegant. Dass ein Architekt es entworfen hatte und wie teuer es gewesen sein musste, dafür sprach jedes Detail; die Glasfront, hinter der das Wohnzimmer lag, der Wintergarten, die Steinwege im japanisch anmutenden Garten dahinter, das unwirklich blaue Schwimmbecken zwischen den Pflanzen. Gaby würde sich, wenn sie Geld hätte, zwar nie so einen Tempel bauen lassen. Ihr war das Ganze ein bisschen zu leer. Aber sie ließ sich gern davon inspirieren. Das viele Weiß regte zu Fantasien an.
Wenn sie jetzt, auf der Stelle trippelnd wie ein nervöses Rassepferd, dastand – ein goldfarbenes Rassepferd, denn ihr Laufanzug war sonnengelb –, konnte sie sich nicht satt sehen an allem, was auf die Bewohner des Hauses hindeutete. Gabys Blick wurde magnetisch angezogen vom Pool, der wie so oft unbenutzt und spiegelglatt dalag, den matten, dunklen Gartenmöbeln daneben, den farbenprächtigen Ornamenten der Kissen, den Büchern. Angesichts von Büchern fühlte sich Gaby immer ein wenig unbehaglich; sie erinnerten sie an ihre magere Schulbildung; außerdem putzte sie in Zimmern mit vielen Büchern nicht gerne. Bücher konnte man nicht einfach nehmen und zusammenstapeln wie die Teller in der Küche – dann sah es gleich ordentlicher aus –, weil zu befürchten stand, dass die aufgeschlagene Seite, auf der ein Buch lag, etwas zu bedeuten hatte oder dass ein Zettel verrutschte oder sonst etwas. Den Taunstätts verzieh sie allerdings die Bücher, es gehörte in den Kreisen hier – lauter Promis und Doktoren – einfach dazu.
Die Straße war leer gefegt, der Asphalt glänzte in der Nachmittagssonne. Die Leute waren in ihren flotten Büros mit irgendwas Wichtigem beschäftigt oder in ihre Geländewagen gestiegen – die fuhr man hier, wie zur Safari – und davongebraust. Hinter den Häusern wurden die Hunde ausgeführt, hier sah man auch die Taunstätts manchmal, aber selten und meist am Handy sprechend. Frau Taunstätt war Fernsehmoderatorin, ihr Mann Star-Tierarzt mit eigener Klinik am anderen Ende des Viertels.
Auch wenn sie hier selten jemandem begegnete, so achtete Gaby doch sehr auf ihr
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