Die Häuser der anderen
schon lange nicht mehr erlebt. Rasch eilte sie zum Wickeltisch, um Jenny trockenzulegen, da kam deren Mutter schon zu ihr und sagte schnaufend: »Ich habe mit meinem Mann gesprochen. Mark fliegt hier raus. Das – du kannst es dir nicht vorstellen, Angelina, aber das da eben – der Besuch –, das war die Polizei.«
Doch, kann ich, dachte Gaby nüchtern.
»Wir haben ihm eine Chance gegeben, verstehst du! Eine einmalige Chance! Jetzt reicht es. «
Gaby fragte vorsichtig, was Mark sich denn habe zuschulden kommen lassen, und Tanja Taunstätt brüllte: »Beschaffungskriminalität!«
Sie sah aus, als hätte jemand angekündigt, in drei Minuten werde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen und sie müsse es, bitteschön, mit dem Fliegen versuchen. Gaby war klar, wieso: Beschaffungskriminalität war etwas, über das Tanja Taunstätt klug und sachlich mit Experten diskutierte, aber nichts, das irgendetwas mit ihr selbst zu tun hatte. Erst im zweiten Augenblick erkannte Gaby, was das lange Wort noch beinhaltete: Mark, der Idiot, drückte anscheinend selber. Dann sagte sie sich: Blödsinn, das war nur die beste Schutzbehauptung, um nicht als Dealer, sondern als armes drogensüchtiges Opfer wahrgenommen zu werden. Ja, in diesen Dingen kannte sie sich einigermaßen aus. Während sie Jenny hin- und herwiegte, die wieder sirenenartig zu heulen angefangen hatte, stieß sie »Schschscht«-Laute aus, um Mutter und Kind gleichermaßen zu beruhigen. Dann wollte Tanja Taunstätt unbedingt, dass sie beide, jetzt sofort, Marks Zimmer ausräumten. Es gab erstaunlich wenig zu packen. Außer den Klamotten waren einige Bodybuilding-Magazine das Persönlichste, was er besaß – mal abgesehen von den Drogen, die ja die Polizei mitgenommen hatte. Sie füllten zwei große Taschen – wie von jemandem, der eigentlich nur auf der Durchreise gewesen war.
Als Gaby zwei Stunden später die Tür zur eigenen Wohnung aufschloss, traf sie auf Britney, die mit abwesendem Gesichtsausdruck vor dem laufenden Fernseher saß. Gaby rief »hallo«, aber ihre Tochter regte sich nicht und gab keinen Ton von sich. Gaby zog ihre Jacke aus und hängte sie über die überfüllte Garderobe in dem kleinen, dunklen Flur. Wie so oft, wenn sie aus den großzügigen Räumen bei den Taunstätts zurückkam, beleidigte die eigene Unterkunft ihre Sinne.
»Lust auf etwas Krabbensalat?«, fragte sie betont lässig und begann, die Leckereien, die sie bei Taunstätts abgestaubt hatte, in den Kühlschrank zu räumen. Sie wollte ihrer Tochter zeigen, dass es schon nicht so schlimm sei – egal, was passiert war.
»Nee, danke«, erwiderte Britney teilnahmslos.
Gaby machte den Kühlschrank zu, nahm sich einen Küchenstuhl und stellte ihn neben Britney und der Couch ab.
»Ich habe davon gehört«, sagte sie vorsichtig, während sie auf dem Wackelding Platz nahm, »aber es sieht doch so aus, als habe er ganz klug behauptet, es sei Beschaffungskriminalität, und das heißt, er macht eine Therapie statt einer Strafe. Er muss nur für eine Weile in eine hübsche Einrichtung auf dem Land, da kannst du ihn auch besuchen, und dann ist das vergessen, er kann wieder ganz neu anfangen.«
»Er will aber nicht dauernd neu anfangen. Ich übrigens genauso wenig«, sagte Britney, wieder unnatürlich ruhig.
»Die Taunstätts werden sich schon wieder um ihn kümmern und ihn finanziell unterstützen, wenn sie erst einmal ihren ersten Ärger überwunden haben …« Gaby hatte hinzufügen wollen: Er ist schließlich ihr Sohn! Tatsache aber war, dass gerade das nicht der Fall war; im Gegenteil hatte Tanja Taunstätt ja sogar davon geredet, ihre kleine Tochter vor diesem Verbrecher schützen zu müssen. Für einen Augenblick wurde sie unsicher. Außerdem saß ihre Tochter da und starrte sie an wie eine Fremde, ja, sogar wie eine Feindin.
»Mein Gott, bist du blind«, brüllte Britney plötzlich. »Natürlich ist er ein Scheißjunkie, und nicht nur er!«
Gaby biss sich auf die Lippen: Erst jetzt fiel ihr auf, wie ungepflegt Britney aussah, sie hatte strähnige Haare und Augenringe. Wenn sie da an Jennys süßen Babyduft dachte, ihren offenen, vertrauensvollen Blick …
»Ich frage mich, ob du eigentlich noch manchmal an unsere Abmachung denkst? Daran, weshalb ich ursprünglich diesen Mark angraben sollte und was du bei den Leuten eigentlich machst?«, schrie ihre Tochter sie weiter an.
»Meine Güte, ich denke an nichts anderes als an unsere Abmachung«, verteidigte Gaby sich, aber
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