Die halbe Sonne
Ereignissen der Woche sowie davon, was ansteht. Schwierigkeiten in der Schule, Bücher, die gelesen wurden, und Trainingsspiele, die ausgetragen werden – alles wird abgehandelt. Auch die gelegentlichen Sorgen der Eltern. Der Vater ist dabei möglicherweise der Häuptling, allerdings nur kraft seines Alters. Folglich werden auch Bankgeschäfte und Karrierepläne besprochen – wenn auch in einer retuschierten Variante, die erst im nachhinein deutlich wird. Wenn keine Punkte mehr auf der Tagesordnung stehen, kommt das Hähnchen auf den Tisch. Der Duft, der wie Rauchsignale aus der Terrine aufsteigt, beendet das wöchentliche Gipfeltreffen. Der Ausnahmezustand ist aufgehoben.
Fünf weitere Thesen über ausländische Väter
XVII. Wenn ein ausländischer Vater einen Filmhelden sieht, der Proben von Edelmut zeigt, nimmt er an, dass der Schauspieler ausländischer Abstammung sein könnte. (»Manolito? Eigentlich bestimmt Manolis?«)
XVI. Ein ausländischer Vater, der einen Sohn an die Tür des Zimmers hämmern hört, in dem sich sein Bruder verschanzt hat, sagt: »Hör auf zu bellen, Kläffer. Jeder Mensch hat das Recht, sich zurückzuziehen.«
XV. Ein ausländischer Vater lügt nie. Aber er berichtigt andere auch nicht, wenn sie sich Dinge einbilden, nur weil er nicht dazu gekommen ist, alles zu sagen.
XIV. Einen ausländischen Vater gibt es nur im Plural, dennoch ist er unvergleichlich.
XIII. Ahme einen ausländischen Vater nie in seiner Sprache nach. Ahme auch die Eigenheiten eines ausländischen Vaters nicht nach. Zum Beispiel seine Art, in gewissen Situationen seine Zunge zu benutzen. Sonst könnte es vorkommen, dass sich die Hände eines ausländischen Vaters ereignen.
Zur Frage der Autorität
Der Vater verliert selten die Beherrschung. Kommt es aber doch einmal so weit, buckelt seine Zunge. Ihre Spitze gegen die Innenseite der unteren Zahnreihe gepresst, senkt er den oberen Kiefer, bis die Zunge wie in einem Schraubstock sitzt. Dies ist die Definition von Zorn. Eine ursprünglichere Kraft existiert nicht. Hinter dem Fleischwulst staut sich die Wut. Ein weiteres Moment der Irritation und der Druck würde übergroß. Dann steigt aus seiner unergründlichen Tiefe Dampf auf, und aus dem verbissenen Murmeln wird ein brüllender Sturm.
Der Sohn weiß das. Trotzdem kann er dem Zorn erst dann einen Namen geben, als er von der frühesten schwedischen Dampflokomotive liest. Gebaut im Jahre 1853 soll »Der Erstling« auf zusammengekoppelten Rädern gerollt sein und ein dunkles, grollendes Geräusch von sich gegeben haben. Es fällt ihm nicht schwer, in der Beschreibung die angestaute Wut wiederzuerkennen. Oder zu verstehen, warum sich der Vater nicht mehr zurückhalten kann, wenn sich der Druck erst einmal aufgebaut hat. Sobald seine Kiefer die Zunge loslassen, helfen weder Einwände noch Beschwichtigungen. Jetzt gibt es nur ein denkbares Ende: Die Raserei muss ihren Lauf nehmen. Der unbändige Zorn hat allerdings einen Nachteil. So wie eine Lokomotive auf einer Trasse läuft, ist auch er vorhersehbar. Als der Sohn dies erkennt, kann er das Geschehen steuern. Es kommt lediglich darauf an, dem Vater bewusst zu machen, dass er dem Ende bereits vorgegriffen hat. Dann verflüchtigt sich der Dampf, und die Wut stirbt von allein. Die Stimme der Vernunft kann wieder Gehör finden.
Nachdem er zu seinem zwölften Geburtstag ein Buch über alte Lokomotiven geschenkt bekommen hat, macht der Sohn jedoch einen Fehler. In einem unbezähmbaren Augenblick wölbt er selbst die Zunge. Als der bereits aufgebrachte Vater erkennt, dass er nachgeahmt wird, verliert er die Fassung. Plötzlich fliegt seine rechte flache Hand durch die Luft. Die Wucht ist so groß, dass der Sohn sich einmal um sich selbst dreht. Seltsamerweise brennt es nicht. Wie durch einen Zauberschlag wird der Vater ruhig und fürsorglich. Während er die Wange untersucht, erkennt sein Nachkomme, dass es nur einen Erstling geben darf. Aber auch, dass er selbst, minderjährig, aber verschlagen, eine Macht besitzt, die den Ursprung in Frage stellen kann. Ohne etwas an seine Stelle zu setzen.
Seenot in Marienlyst
An einem Tag im März beschließt der Vater, dass mit dem Maßhalten jetzt einmal Schluss sein muss. Das Wetter ist ewig grau, die Kinder sind ewig weinerlich, die Finanzen stehen kurz vor dem Kollaps. Aber das Leben wird nicht wirklich besser, nur weil man die Ausgaben im Auge behält. Der Geburtstag seiner Frau und sein eigener liegen zwei Wochen
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