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Die halbe Sonne

Die halbe Sonne

Titel: Die halbe Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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die zwischen den Händen der Großmutter vorgeschoben wurden. Nun, da sie nicht mehr lebt und nur noch ein Marmeladenglas übrig ist, verstreicht der Sohn die glänzende Masse in so dünnen Schichten, dass sie von der Butter abrutscht und sich in der glitzernden Fläche gelbe Plateaus bilden. Er weiß, wie die Teigmasse der Sonne schmeckt. Sie sticht wie Erinnerungen. Sie brennt wie Wunden. Sie ist eine Membran aus herrlichstem Feuer. In den Ohren hallt eine ferne Nähmaschine: Ma-rille, Ma-rille, Ma-rille ...

Matchwinner

    Dem Vater fehlt für Ballsportarten jegliches Talent. Seine Pikenschüsse sind jedoch so unbeholfen, dass der Sohn Mitleid empfindet. Als der Vater fragt, ob er am Strand mitspielen dürfe, beeilt sich das Kind, ihn in seine Mannschaft zu wählen. Zehn Minuten lang rennt und ruft der Vater, fällt hin, steht auf, teilt sich seine Kräfte nicht ein. Am Ende bleibt er beim gegnerischen Tor stehen – die Hände auf seine Knie gestützt, mit einer Lunge wie ein Blasebalg. Der Mutter, die das Spektakel vom Badehandtuch aus verfolgt, erklärt er, dass er auf den Ball lauere. Ein paar Minuten vergehen, dann spielt ein gegnerischer Spieler einen Rückpass. Der Ball landet irrtümlich beim Vater, der ihn ins Tor schieben kann.
    Der Sohn kontrolliert die Reaktion der übrigen Jungen, ehe er einstimmt. Ja, die Freude des Vaters ist wirklich unbezahlbar, wenn er sich rücklings in das vierzehn Grad kalte Wasser wirft.

Jeder auf seine Art

    Obwohl der Himmel bedeckt ist, fühlt sich der Vater wie auf südlichen Breitengraden, als er an einem grauen Julitag auf die Veranda hinaustritt. In der Hand hält er ein Handtuch, auf Wangen und Hals sieht man Striemen von Rasierschaum. Lediglich mit einer Unterhose bekleidet, trocknet er sich sorgsam ab, demonstriert anschließend seinen neuen Schnurrbart. Er will wissen, ob er aussieht wie Anthony Quinn. Als seine Frau sich lachend erkundigt, »Nur?«, fühlt er sich eigentümlich erleichtert. Jetzt kann er den Schnurrbart abrasieren und auf seine Art Grieche sein.

Kikeriki

    Im letzten Sommer erzählt die Großmutter von dem Jungen Hillel. Als er eines Tages gebeten wurde, einem Nichtjuden die jüdische Lehre zu erklären, stellte er sich auf ein Bein, bevor er antwortete. Der Sohn denkt, dass sie von dem Nachbarjungen spricht, den die Mutter als Kind gekannt hat, der jedoch eines Nachts mit seiner ganzen Familie verschwand, weiß allerdings nicht, was ein Jude ist. Als er hört, dies sei ein Mensch, der Deutsch spreche, aber weder Deutscher noch Österreicher sei, will er wissen, ob Griechen seiner Art spiegelverkehrte Juden sind. Manchen zufolge sind sie immerhin Griechen, ob sie es nun wollen oder nicht – was bedeuten müsste: auch wenn sie die Sprache nicht beherrschen.
    Die Großmutter antwortet unerwartet abwesend: »Vielleicht.« Danach beschließt der Sohn, Hillels Beispiel zu folgen, falls er jemals gebeten werden sollte zu erläutern, was der Vater ist. Auf einem Bein stehend beabsichtigt er von einem Tag in den fünfziger Jahren zu erzählen. Zu jener Zeit machte ein junger Grieche einer jungen Österreicherin den Hof. Offenbar fühlte er sich ihrer so sicher, dass er es wagte, sich mit seinem zukünftigen Schwager einen Scherz zu erlauben. Bei einem Ausflug in den Wienerwald kamen sie an einer Weide mit einem Stier vorbei. Der Grieche fragte, ob jemand es wage, die Weide zu überqueren. Als die anderen den Kopf schüttelten, erzählte er, es gebe da einen Trick, den in seinem Heimatland jeder Junge beherrsche. Wenn man nur eine geballte Faust hochhalte, werde der Stier zahm. Es liege etwas Hypnotisches in diesem Zeichen, das die entgegengesetzte Wirkung zum roten Tuch des Matadors habe. Man müsse sich jedoch langsam bewegen und die ganze Zeit das Zeichen machen. Wer traue sich zu zeigen, dass er ein Grieche sei?
    Der Schwager in spe zweifelte an der Behauptung, wollte aber weder feige wirken noch die Ehre des Freundes seiner Schwester in Frage stellen. Vorsichtig kletterte er über den Zaun und bewegte sich mit erhobener Faust auf den Stier zu. Als er zwanzig Meter gegangen war, hob das grasende Tier den Kopf. Erst scharrte es träge mit den Hufen, dann preschte es los. Er schaffte es gerade noch, über den Stacheldraht zu springen.
    Als der Vater die Geschichte später in diesem Sommer erzählt, bekommt er vor Lachen keine Luft. Er schafft es kaum, das Zeichen vorzumachen, ehe er auch schon wieder losprustet. Die Großmutter weiß nicht recht, was

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