Die Hallen der Unendlichkeit (German Edition)
drehte den Kopf oder gab sonst wie zu erkennen, dass er die Menschen am Strand in Rufweite zur Kenntnis genommen hatte. Lebten die überhaupt?
„Das ist bizarr!“ Mike sah so aus, als bekäme er es mit der Angst zu tun. Er warf Blicke über die Schulter, als wolle er sichergehen, dass der Fluchtweg nach hinten noch offen war. „Das ist mir noch viel unheimlicher als die Sache mit dem fliegenden Kegel.“
„Da, hört doch mal! Hört ihr das nicht?“ Lars hob eine Hand und legte sie an den Kopf, um die Ohrmuschel zu vergrößern und besser in Richtung des Schiffes lauschen zu können. „Das klingt doch nach Musik!“
Und tatsächlich waren neben dem Plätschern und Rauschen der Wellen Klänge zu hören, die an Barockmusik erinnerten. Trompeten, Waldhörner und Posaunen, Streicher in großer Besetzung, Pauken – alles, was dazu gehörte.
In der Zwischenzeit war die Galeere so nahe gekommen, dass die Ähnlichkeit der Ruderer eindeutig zu sehen war. Alle schienen blondes, halblanges Haar und einen blonden Schnurrbart und weißblau geringelte Hemden auf den Oberkörpern zu tragen. Und nicht nur das: Die Gestalten bewegten sich zwar, aber es sah irgendwie abgehackt und alles andere als harmonisch aus. Sie wirkten so leblos wie Schaufensterpuppen und die Bewegungen waren so seelenlos wie die von Automaten oder Robotern. Pietrino legte einen Stein in seine Schleuder, zog an den Gummisträngen, zielte und schoss. Der Stein flog wie aus der Pistole geschossen auf die Galeere zu und traf einen der Ruderer. Dieser schrie nicht auf, sondern der Stein prallte mit einem metallischen, hohlen Plong ab und fiel ins Wasser.h
Und dann war es soweit: Die Musik, die nun unverkennbar pompöse Orchestermusik im Stile der Wassermusik von Georg Friedrich Händel war, spielte gerade eine etwas schnellere und sehr laute Passage. An der Bordwand erschien ein menschliches Wesen, das nicht ruderte und auch sonst mit den bisher zu sehenden Gestalten nichts gemein hatte. Eine riesige braune Lockenpracht umrahmte ein Gesicht mit einer kräftigen Nase und einem kräftigen Kinn und fiel bis über die Schultern. Eine prächtige, lange Robe in Rot und Gold bekleidete die Gestalt. Die Brille mit Drahtgestell im Gesicht des Mannes wirkte wie ein Anachronismus.
„Seid willkommen, Unsere lieben Freunde!“, rief nun diese Gestalt.
Den Gefährten am Strand fiel die Kinnlade auf die Brust.
„Wer ist das denn?“, fragte Lars. „Ludwig, der vierzehnte?“
Der barock-prachtvoll gekleidete Mann an Bord der Galeere machte eine einladende Handbewegung, die allerdings schwer und bedeutungsvoll von herablassender Würde war. „Möchtet Ihr an Bord kommen, edle Herren? Wir würden es als eine Ehre betrachten, wenn Ihr Unser bescheidenes Schiff mit Eurer Anwesenheit ziertet.“
„Muss man an Bord des Schiffes so vornehm reden wie der da?“, fragte Pietrino leise.
„Nein, nein“, sagte Hans genau so leise. „Wir benehmen uns alle so wie immer.“ Und dann rief er lauter: „Wir würden gerne an Bord kommen, wenn es nicht zu viele Umstände macht.“
„Aber keineswegs, edle Herren! Wartet bitte einen Moment.“
Die Gestalt verschwand von der Bordwand und schien in das Heck des Schiffes zu gehen. Die Musik wurde gerade leiser; die Bläser waren verstummt, die Streicher spielten eine Passage mit ruhiger und getragener Melodie.
„Sie werden uns anketten, geben uns als erstes die Peitsche zu schmecken, damit wir wissen, was auf uns zukommt“, murmelte Mike leise und düster. „Wenn wir uns ganz besonders beim Rudern ins Zeug legen werden wir vielleicht mal Sklave des Monats und bekommen dann einen Schluck Wasser und ein winziges Stückchen steinhartes Brot extra …“
Plötzlich erstarrten die an der Bordwand sichtbaren Gestalten mitten in der Bewegung, die Ruder hingen waagerecht in der Luft. Wasser troff vom Holz ins Meer.
„Unfug!“ Lars hatte als erster begriffen. „Das sind keine Menschen, das sind Maschinen. Der in Brokat gekleidete Typ an Bord hat keinen Befehl geben können, dass das Rudern aufhören soll, sondern er musste Hebel bedienen oder so etwas!“
Was nun folgte, ließ Salvatore und Pietrino die Flucht auf einen Dünenkamm antreten. Die Ruder wurden senkrecht in die Luft geschwenkt, das Schiff drehte den Bug Richtung Strand und kam immer näher. Die Galeere lief dabei keineswegs auf Grund. Der Schiffsrumpf tauchte aus dem Wasser auf und fuhr auf Rädern, die eins hinter dem anderen auf jeder Seite angebracht waren, den
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