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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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sagen, dass Elina die Tür nicht aufmacht. Er bekommt es mit der Angst, dass etwas passiert ist, und hetzt von der Arbeit nach Hause. Elina stemmt sich vom Stuhl hoch, vorsichtig, ganz vorsichtig, und geht, sich an der Wand abstützend, in die Diele. Das Kind liegt wieder im Wagen und schläft.
    Doch es ist nicht Teds Mutter, sondern eine Frau mit strähnigen gelbblonden Haaren, den schweren Körper in eine blaue Stretchhose gequetscht. Sie wartet nicht einmal ab, dass sie hereingebeten wird. Ohne dass Elina auch nur ein Wort hervorbringen kann, drängt sie sich, über den Regen schimpfend, an ihr vorbei ins Haus und marschiert durch die Diele direkt ins Wohnzimmer. Sie lässt sich auf Elinas Sofa nieder, macht sich sogleich mit Papieren und Aktenordnern zu schaffen und schraubt einen Füllhalter auf.
    Elina, die ihr gefolgt ist, bleibt erstaunt vor ihr stehen. Sie will f ragen, wer sind Sie, was machen Sie hier, wer hat Sie geschickt, aber die Ordner und Papiere haben ihr die Sprache verschlagen. Sie fasst sich erst einmal in Geduld.

    »So«, seufzt die Frau und rutscht mit ihrem blauen Gesäß auf dem Ledersofa herum. »Dann sind Sie also Natalie.«
    Es ist eine Feststellung, über die Elina einen Augenblick nachdenken muss. Ist sie Natalie? Sie glaubt es nicht. »Nein«, sagt sie.
    Die Frau runzelt die Stirn. Sie kratzt sich mit dem Ende des Füllers im Haar. »Sie sind nicht Natalie?«
    Elina schüttelt bestimmt den Kopf.
    Die Frau dreht ein Blatt Papier um, kneift die Augen zusammen und sagt: »Ach.« Darin liegt so viel müde Enttäuschung, dass Elina sich am liebsten dafür entschuldigen würde, nicht Natalie zu sein. Dass sie ihr sagen möchte, vielleicht könne sie Natalie sein.
    »Sie sind Elina.« Die Frau seufzt noch einmal.
    »Ja.«
    »Und wie geht es uns heute, Elina?«
    Elina findet diesen englischen Gebrauch des Plurals verwirrend. Sie ist ein Mensch, nur einer. Wie kann sie ein »Wir« sein? »Gut«, antwortet sie. Hoffentlich geht die Frau bald wieder.
    Doch die hat eine ganze Fragenliste mitgebracht. Sie will wissen, was und wie oft Elina isst. Sie will wissen, ob Elina an die frische Luft geht, wie viel Schlaf sie bekommt, ob sie in eine Müttergruppe geht, ob sie in eine Müttergruppe gehen will, ob sie ihre Medikamente nimmt, ob ihr jemand hilft.
    »Ob mir jemand hilft?«, wiederholt Elina.
    Unter ihrem gelben Pony hervor mustert die Frau sie scharf. Sie sieht sich im Zimmer um. Sie sieht Elinas Schlafanzug an. »Leben Sie allein?«, fragt sie.
    »Nein. Mit meinem Freund, aber …«
    »Aber was?«

    »Er musste arbeiten. Er wollte nicht. Ich meine, er wollte sich frei nehmen. Aber sie sind mit den Dreharbeiten im Verzug und, na ja, wie es nun mal so ist.«
    Worauf die Frau eifrig etwas in ihren Aktenordner kritzelt. Sie macht Elina müde mit ihren Ordnern und Fragen. Wenn sie nicht da wäre, könnte sie sich auf dem Teppich ausstrecken, den Kopf auf ihren Arm legen und einschlafen.
    »Und was macht der Heilungsprozess?« fragt die Frau, während sie in ihre Akte schaut.
    »Der Heilungsprozess?«
    »Wie verheilt die Narbe?«
    »Was für eine Narbe?«
    Wieder mustert die Frau sie scharf. »Vom Kaiserschnitt.« Ein zweifelnder Ausdruck huscht über ihr Gesicht. »Sie hatten doch einen Kaiserschnitt?«
    »Einen Kaiserschnitt?« Elina tastet sich vorsichtig an das Wort heran. Sie kennt es, ja. Kaiser und Schnitt. Sie hält sich den Unterleib und denkt an den sengenden Schneidbrennerschmerz. »Einen Kaiserschnitt«, murmelt sie.
    Die Frau wirft erneut einen Blick in ihre Unterlagen und blättert eine Seite halb um. »Hier steht … verlängerte Wehentätigkeit, Komplikationen und - ja - Notkaiserschnitt, Blutverlust.«
    Elina starrt sie an. Sie muss sich beherrschen, dass sie nicht die Tasche der Frau bei den Henkeln packt und mit Karacho durch das Fenster schmeißt. Sie stellt sich vor, wie die Scheibe klirrend birst, wie etwas so Vollkommenes, so Klares in tausend Stücke zersplittert, wie die Tasche mit einem satten Klatschen auf dem Bürgersteig landet.
    Mit zusammengezogenen Augenbrauen, den Mund leicht geöffnet, starrt die Frau zurück.

    »Ich möchte, dass Sie gehen«, sagt Elina, ganz langsam, ganz deutlich. »Bitte. Ich habe keine Zeit. Ich muss … Ich muss … gleich weg. Nichts für ungut. Vielleicht können wir das ein andermal besprechen.« Sie bemüht sich, höflich zu bleiben. Sie hat zwar keine Ahnung, wer diese Frau ist, aber das ist noch lange kein Grund, unf reundlich zu werden.

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