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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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eine Dusche gab, die …« Sie muss so heftig gähnen, dass ihr Kiefer knackt und ihr die Tränen in die Augen steigen. »… die aus einem …« Ihre Stimme ist schläf rig und so undeutlich, als ob sie jeden Moment ganz wegdriften könnte. »… einem Wasserschlauch gemacht war?«
    »Aus einem Wasserschlauch?«, wiederholt er ratlos.
    »Hmm. Und da gab’s auch ein … na, du weißt schon.« Mit einem weiteren Gähnen sackt sie gegen ihn, zusammengeklappt wie ein Liegestuhl. »Wie heißt das noch gleich?«
    »Äh. Keine Ahnung.«
    »Eine Seifenschale«, murmelt sie mit geschlossenen Augen. »Aus einer Konservendose.«
    Ted überlegt. Er glaubt nicht, dass er schon einmal irgendwo war, wo es eine Wasserschlauchdusche gab. Wo haben sie überhaupt schon zusammen Urlaub gemacht? In Rom? Oder war das mit Yvette? Rom: Elina oder Yvette. Oder Yvettes Vorgängerin, die Blondine? Wie hieß sie noch? In Rom war er mit Yvette - ihm fällt wieder ein, dass sie auf dem Campo dei Fiori einen Koller hatte, wegen ihrer Sonnencreme. Er ist erleichtert, dass er nicht Rom gesagt hat, dass er es in letzter Sekunde für sich behalten hat.
Er war mal mit Elina in Norfolk, in einem Hotel in einem Leuchtturm, aber da muss es doch bestimmt eine richtige Dusche gegeben haben.
    »… draußen war eine Ziege«, murmelt sie, »mit einem Ziegenbaby - wie sagt man richtig? -, und das war strahlend weiß. Erinnerst du dich? Du hast gesagt, es war das Sauberste, was wir in dem ganzen Urlaub gesehen haben.«
    Und da fällt es ihm wieder ein. Auf einmal hat er das Bild im Kopf, so deutlich wie die Bilder auf seinen Monitoren im Schneideraum. Ein winziges, staksiges Zicklein mit unglaublich weißem Fell und bonbonrosa Lippen. »In Indien?«, sagt er.
    »Hmm.« Sie nickt, den Kopf in seinem Schoß.
    »Kerala.« Er schlägt mit der Faust auf die Armlehne des Sofas, so glücklich ist er, weil die Erinnerungen plötzlich regelrecht auf ihn einstürmen: Elina vor einem Gewürzladen, eine Wanderung durch einen Eukalpytuswald, das neugeborene weiße Zicklein, an dem sie jeden Morgen vorbeikamen, das angepflockte Muttertier, das helle Meckern, die Nachtfahrt mit dem Zug, während der er dauernd aufwachte, weil irgendwelche Leute im Gang auf und ab polterten, das Summen der blauen Lampe. »Kerala«, sagt er noch einmal. »Ja. Haben wir nicht irgendwo noch Fotos davon? Ich bin mir sicher, dass ich welche geknipst habe. Soll ich sie suchen?«
    Er bekommt keine Antwort. Sie ist eingedöst, die Hand zwischen ihrer Wange und seinem Oberschenkel, die Lippen leicht geöffnet. Er kommt sich ausgebremst vor. Da ruft sie erst die Erinnerungen an ihre Indienreise in ihm wach, und dann lässt sie ihn nicht darin kramen. Es kommt selten genug vor, dass er zu solchen Gesprächen etwas beitragen kann, und wenn es dann doch einmal passiert, schläft sie
einfach ein. Ihn überkommt der Drang, laut »Kerala« zu sagen oder etwas ruckartiger als unbedingt nötig sein Gewicht zu verlagern, nur um zu sehen, ob sie aufwacht, um sich seine Erinnerungen an Indien anzuhören, doch sofort schämt er sich dafür. Natürlich darf er sie nicht wecken. Was ist er für ein Mensch, dass er an so etwas auch nur denken kann?
    Er lässt behutsam die Hand neben sie sinken, auf die grüne Wolle ihrer Strickjacke, greift hinter sich nach der Sofadecke und breitet sie über sie. Ganz leicht flackert der Puls in ihrem Hals, und er stellt sich vor, wie sich tief unter der Haut die Arterie weitet und verengt, weitet und wieder verengt, während das warme, dicke Blut aus dem Herzen im Dreiviertelsekundentakt stoßweise in sie hineinschießt.
    Er betrachtet das Delta aus Adern an ihrem Handgelenk, die zartvioletten Muster auf ihren Augenlidern, den Hauch von Blau, der durch ihre Wange schimmert, das Netz aus Blutgefäßen auf ihrem Spann. Zum ersten Mal fragt er sich, ob sie das Blut eines einzelnen Menschen oder das Blut vieler in sie hineingepumpt haben, um sie wiederzubeleben. Und ob sie noch sie selbst ist, wenn das Blut, das durch ihren Körper strömt, nicht ihr eigenes ist. Ab wann wird man ein anderer?
    Am liebsten würde er das Geschehene vergessen, wie er so vieles andere auch vergisst. Am liebsten einen Lappen nehmen und es wegwischen. Eine Blende oder eine Jalousie davor herunterziehen und nicht bei jedem Blick, den er auf Elina wirft, sehen müssen, wie dünn ihre Haut ist, wie unerträglich fein ihre Adern, wie leicht zu durchstechen. Doch vor allem wünscht er sich, dass es nie passiert

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