Die Hand von drüben
Schwester ihn mit Dr. Hofstetter verbunden hatte, hörte er aus seinem Munde die wunderbare und willkommene Nachricht, daß er Glück habe. Dr. Hofstetter hatte gerade von einem Patienten eine Absage bekommen und konnte so Hero in zehn Minuten empfangen. Seine Praxis in der Westend Avenue war nur ein kleines Stück von dort entfernt, von wo Hero anrief, und im Nu wurde der lang ersehnte Traum Wirklichkeit. Dem Stich der Nadel der Novokainspritze folgte das sofortige Aufhören des Schmerzes.
Aber vor dem Badezimmerbariton Dr. Hofstetters gab es kein Entrinnen. Er war ein kleiner, freundlicher, strahlender Mann mit rundem Gesicht und munteren Augen, die interessiert hinter seiner goldgerandeten Brille blitzten. Er hatte feine, kräftige Hände, die er unentwegt wusch, und schon nach einer Minute wußte Hero, daß er ein erstklassiger Zahnarzt war, sicher und geschickt in seinen Bewegungen, aber er sang!
Nachdem er den Zahn mit dem kleinen Spiegel betrachtet hatte, sang er: «Was haben wir hier?» Und wiederholte dieses Thema in einem halben Dutzend Modulationen und Variationen, bis er sich selber die musikalische Antwort gab: «Einen sehr kranken Za-ahn», und sang weiter in Dur und Moll, und wieder in Dur, während er feinere und gröbere Nadeln für den Bohrer zurechtlegte. «Bitte spülen», schmetterte er und summte dann nach der Melodie einer Arie: «Wir werden ein bißchen bo-oh-ren müssen.» Vorher, währenddessen und danach, bis Hero glaubte, er werde den Verstand verlieren. Dr. Hofstetter schien gar nicht zu hören, daß er nicht immer ganz richtig sang.
Zum Selbstschutz zeigte Hero ein Interesse für Dr. Hofstetters Behandlung, das er in Wirklichkeit gar nicht empfand, in der Hoffnung, auf seine Fragen gesprochene Antworten zu erhalten — es war ihm alles recht, wenn er nur dieses verdammte Gesinge ließe. Bis zu einem gewissen Grad gelang es, als Hero einen ausführlichen Bericht über die amerikanischen technischen Fortschritte und die altmodischen Methoden, mit denen der kranke Zahn in London behandelt worden war, über sich ergehen lassen mußte. Das Füllen stellte offenbar ein Problem dar, da so viel von dem Zahn abgebrochen oder beschädigt war. Man mußte nicht nur dem weiteren Verfall Einhalt gebieten, sondern ihn auch mit dem Nachbarzahn durch eine Brücke verbinden, was ein großes technisches Können voraussetzte, worüber Dr. Hofstetter offensichtlich verfügte. Das führte leider zu einem neuen Madrigal über die Notwendigkeit, genauere Abdrücke zu nehmen, als sie durch Dentalwachs gewöhnlich erreicht wurden. Einen Abdruck von dem Loch in dem Zahn und einen von der Brücke.
«Aber wir ha-ha-haben das Zeu-eug dafür hier», sang Dr. Hofstetter. «Wir haben das Zeu-eug.» Er holte aus einem Schrank ein Gefäß mit einem feinen Zerstäuber, in dem irgendeine Flüssigkeit unter Druck war. Auf dem Gefäß las Hero: Instantoplast. Dr. Hofstetter streifte ein Paar dünne Gummihandschuhe über, und da sein Patient ein so großes Interesse an seiner Arbeit gezeigt hatte, begleitete er die folgende Operation mit einem Rezitativ: «Zuerst bereiten wir die Oberfläche vor... Jetzt das Instantoplast.»
Hero hörte ein leises Zischen, als Dr. Hofstetter auf einen Knopf drückte und das Zeug heraussprühte. «Hinein geht’s. Heraus kommt’s. Es ist fast wie ein Zauber. Genau wie ein Zau-auber», trällerte Dr. Hofstetter immer wieder.
Und das war es auch. Denn kaum eine Sekunde später hielt er den äußeren und inneren Abdruck bereits in seinen Händen. Man brauchte nicht mehr mit in die Backen gestopften Wattebäuschen ewig zu warten, während kaltes Wasser über das Wachs rann, um es zu härten.
«Bitte spülen.»
Hero beugte sich vor, nahm einen Schluck Wasser, spülte damit und spuckte es aus. Dr. Hofstetter hatte sich etwas, das der Lupe eines Uhrmachers ähnelte, ins Auge geklemmt, und betrachtete die Oberfläche der Abdrücke, wobei er ein paarmal mit einem scharfen, spitzen Stahlinstrument über sie hinwegfuhr. «Warum müssen Sie Gummihandschuhe tragen?» fragte Hero.
Dr. Hofstetter jodelte, seine Frage beantwortend. Damit das Zeug nicht an seinen Fingern haften blieb, wo es festkleben und, wenn man es entfernte, die Haare ausreißen würde, es sei denn, man habe die Hautoberfläche vorher besonders präpariert, so wie bei dem Zahn.
«Es wird so hart wie Stein», erklärte er. «Es ist ein neues Präparat. Hier, ich werde es Ihnen zeigen.» Und er fettete zunächst den Handschuh ein,
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