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Die Hand von drüben

Die Hand von drüben

Titel: Die Hand von drüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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hielt dann die rechte Hand ein Stück von sich ab und besprühte seinen Zeigefinger, um den sich rings fast sofort eine glatte weiße Hülle bildete. Er schwenkte die Hand einen Augenblick in der Luft, zog sie vorsichtig aus dem Handschuh und darauf den Handschuh vorsichtig aus der weißen Hülle und zeigte Hero den papierdünnen, vollkommen geformten Abdruck seines Fingers. Um zu beweisen, wie hart er war, kratzte er mit einem seiner Instrumente an der Spitze. «Wundervolles Zeug!» rief er. «Man kann damit machen, was man will, es zerschneiden, es durchbohren, es auskehlen...»
    Alexander Hero hatte sich in dem Behandlungsstuhl hoch aufgerichtet und beobachtet, wie Dr. Hofstetter mit seinem Stahlinstrument mehrere Linien über das Ende des Fingerabdrucks zog. Es entstanden keine Sprünge oder Risse, und es bröckelte nichts ab, wie das bei Gips geschehen wäre.
    «Zeigen Sie doch mal.» Hero hatte gar nicht gemerkt, in wie scharfem Ton er das gesagt hatte, bis er im Gesicht des freundlichen Zahnarztes Überraschung spiegeln sah. «Und den Handschuh bitte.» Ein noch verblüffteres Gesicht machend, reichte ihm Dr. Hofstetter beides.
    Hero untersuchte den Finger. Seine Dehnfestigkeit schien enorm zu sein. «Darf ich einmal Ihre Lupe haben?» Dr. Hofstetter, der plötzlich argwöhnte, es mit einem höchst sonderbaren Kauz zu tun zu haben, gab sie ihm. Hero klemmte sie sich ins Auge und studierte die Oberfläche des Abgusses. Dann, ohne auch nur den Zahnarzt um die Erlaubnis zu bitten, nahm er eine Stahlsonde von dem Tablett und machte ein paar Zeichen auf den Abguß. Seine Hände zitterten leicht. Er steckte den gehärteten Abguß in den Gummihandschuh und schob ihn ganz in den Finger hinein. Die Zeichen und Kratzer schimmerten hindurch, so wie Dr. Hofstetters Handlinien es getan hatten.
    «Ach, mein Gott», sagte Hero, «flüssiger Latex! Man hat ihn aufspritzen können.»
    Dr. Hofstetter hätte nur allzu gern gewußt, wovon sein merkwürdiger Patient sprach, nickte lächelnd und sagte: «Stellen Sie ihn selber her, wenn Sie wollen. Verdrängen Sie die Firma Goodyear aus dem Geschäft.»
    «Mein Gott, ich muß gehen», rief Hero, und er begann an dem Latz zu zerren, den man ihm um den Hals gebunden hatte.
    Es war ihm gelungen, Dr. Hofstetter, der jetzt überzeugt war, es mit einem Geistesgestörten zu tun zu haben, einen solchen Schrecken einzujagen, daß er sein Singen ganz vergaß. Besänftigend sagte er: «Es wäre besser, Sie ließen mich erst einmal das Loch provisorisch füllen.»
    «Ich habe keine Zeit mehr. Ich muß irgendwo sein.»
    «Vielleicht», sagte Dr. Hofstetter. «Aber wenn Sie dort sind, werden Sie sich nicht gut fühlen. Wenn die Wirkung des Novokains nachläßt, werden Sie wünschen, Sie wären tot.»
    Das Wort trieb Hero zu noch größerer Eile an: zwei Menschen waren schon tot, und wenn er sich nicht irrte, wahrscheinlich auch noch ein dritter. Die halbe Welt war bedroht, und die Minuten der vierundzwanzig Stunden, die man ihm bewilligt hatte, verstrichen unerbittlich.
    «Lehnen Sie sich einen Augenblick zurück, und die Sache ist im Handumdrehen erledigt», sagte Dr. Hofstetter. «Es dauert nur eine Sekunde. Andernfalls würden Sie den Schmerz nicht ertragen können.»
    Hero ließ sich in den Stuhl zurückdrücken und den Latz wieder umbinden. Mit dem, was er jetzt zu wissen glaubte, brauchte er für jede Sekunde danach seine ganze Kraft. Und so, während Dr. Hofstetter schnell und geschickt den Zahn provisorisch füllte, dachte Hero genau Schritt für Schritt über die Herstellung und Materialisation der schon lange toten Hand Mary Constables nach.
    Ganz auf seine Arbeit konzentriert, vergaß Dr. Hofstetter seines Patienten vorheriges merkwürdiges Verhalten und sang: «Alles sau-auber gemacht, und es wird halten, bis ich Sie wiederse-ehe.»
    Hero stand von dem Stuhl auf und ging zur Tür, aber dann blieb er plötzlich stehen, ergriff den Abguß des Fingers, den Gummihandschuh und das Gefäß mit Instantopiast und sagte: «Kann ich das mitnehmen? Verzeihen Sie mir. Schicken Sie bitte die Rechnung ins .» Und dann, da er das Gefühl hatte, daß er noch irgend etwas hinzufügen müsse, um seiner großen Dankbarkeit für das, was geschehen war, Ausdruck zu geben, schüttelte er dem kleinen Zahnarzt die Hand und sagte: «Sie wissen nicht, was Sie getan haben. Sie können es einfach nicht wissen. Eines Tages könnte man Ihnen ein Denkmal dafür setzen.» Am liebsten hätte er

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