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Die Hand von drüben

Die Hand von drüben

Titel: Die Hand von drüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Sekunde einhalten zu können, was notwendig sein würde. Und jetzt, da das Drama in Gang war, war sich Hero einer Müdigkeit, einer Erschöpfung bewußt, die ihn befallen hatte und die er, wie er wußte, abschütteln mußte, um seine Rolle zu spielen. Irgendwie schien es ihm fast angenehm, hier im Finsteren zu sitzen und nichts zu tun.
    Sein Leben wurde durch ein Jucken gerettet. Er hätte vielleicht noch weitere zehn Minuten so gefesselt dagesessen, ehe es Zeit war, mit den Manifestationen zu beginnen, aber da juckte es ihn plötzlich zwischen den Schulterblättern, und er konnte sich nicht kratzen. Er begehrte nur eines, seine Hände freizubekommen. Er prüfte die Spannung des Stricks an den Punkten, wo er, während er gefesselt worden war, einen Gegendruck ausgeübt hatte, und merkte, daß sie ziemlich leicht nachgaben, wenn er auch einen Knoten mit den Zähnen lösen mußte. Er befreite erst die eine, dann die andere Hand, kratzte sich genießerisch, lockerte dann den Strick um seine Füße und ließ die losen Enden auf seinem Schoß liegen. Er war dankbar dafür, daß er sich nicht die Art hatte einprägen müssen, auf die man ihn gefesselt hatte, damit er am Ende der Seance genauso gefesselt war wie vor ihrem Beginn. Diesmal würde es nicht notwendig sein. Er griff in seine Tasche, holte Mutter Bessmers Brille heraus, die es mit ihren für Infrarot empfänglichen Spezialgläsern ihm ermöglichen würde, im Dunkeln zu sehen. Die kleinen schwarzen Kästen, die das infrarote Licht vom Deckengesims ausstrahlten, waren am frühen Abend durch den Kontrollschalter, den sie gefunden hatten, in Betrieb gesetzt worden. Hero setzte die Brille auf, schob die Stahlbügel hinter die Ohren, es war ihm, als ob sein Herz jäh aussetzte. Es war noch jemand anders im Kabinett: ein Mann.
    Der Eindringling stand reglos, mit dem Rücken zum Raum, kaum einen Meter entfernt, und starrte ihn an.
    Selbst in der Panik versucht man sich oft einzureden, daß es nicht so schlimm sei, und eine tausendstel Sekunde lang glaubte Hero, es sei vielleicht Wiener oder einer der anderen, der in das Kabinett gekommen sei, um mit ihm zu sprechen, da unerwartet irgend etwas schiefgegangen war. Aber die Hoffnung erlosch. Obwohl man mit Infrarot Einzelheiten nicht so deutlich erkennen kann wie bei gewöhnlicher Beleuchtung und es auch keinen Schatten wirft, war Mrs. Bessmers Brille so gut, daß er die Umrisse des Mannes sehen konnte und sogar etwas von dem Ausdruck in dem eckigen, groben Gesicht.
    Er war klein, breitschultrig und entsprach genau der Beschreibung, die der Nachtwächter im von dem dort eingedrungenen Mann gegeben hatte.
    Es war der Mörder. Irgendwie war es ihm gelungen, sich in dem Haus zu verstecken, und im Schutz der Dunkelheit und dem Lärm von draußen hatte er sich in das Kabinett geschlichen.
    Vor Angst erstarrt, wartete Hero darauf, daß er die Gaspistole aus der Tasche zog. Niemand würde das Zischen der Pistole hören, wenn sie die tödliche Flüssigkeit in seinen Mund und seine Nase abfeuerte. Ein Schrei um Hilfe erstickte in seiner Kehle. Er hatte die draußen gewarnt, unter keinen Umständen das Kabinett zu betreten, und außerdem wäre es zu spät. Er konnte nichts tun, als dort sitzen und seinen Exekutor ebenfalls anstarren. Warum rührte sich der Mann nicht? Warum vollendete er seine Aufgabe nicht?
    Und in dieser kurzen Pause begann Heros Gehirn wieder zu arbeiten. Das seltsame Starren des Mannes! Seine Reglosigkeit! Der so merkwürdig leere Ausdruck! Plötzlich kam Hero die Erklärung. Der Eindringling lauschte, sah nichts. Er war blind — blind in dem Sinn, daß er im Dunkeln nichts sehen konnte. Man merkte deutlich, daß er mit den Bräuchen der Medien nicht vertraut und sich gar nicht darüber klar war, daß er in einem infraroten Licht stand und beobachtet wurde. Die Erkenntnis seines Vorteils gab Hero neuen Mut und ließ ihn die Initiative ergreifen. Er würde sich der Feuerlinie zu entziehen vermögen.
    Als er seine Muskeln spannte, um das zu tun, kam die rechte Hand des Mannes langsam aus der Tasche heraus. Aber sie hielt keine Pistole. Statt dessen sah er ihn die Finger öffnen. Etwas schien auf der Handfläche zu liegen, ein Kork, den er jetzt abzog, und das weiche, schattenlose Licht fiel einen Augenblick auf etwas, das wie ein Ring und eine Nadel aussah.
    Und dann, in einer jener Intuitionen, in denen der Geist wie ein Computer so blitzschnell und fehlerlos arbeitet, um die Antwort zu geben, wußte

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