Die Hand von drüben
nämlich nicht.»
«Waren Sie bei ihm?»
«Ja. Er traut mir nicht. Er sagt kein Wort.» Dann fügte er hinzu: «Er ist wie viele dieser Kerle: sie reden von diesem und jenem, aber Berufsgeheimnisse kann man ihnen weder für Liebe noch Geld entlocken.»
Dr. Ferguson blickte Hero jetzt beunruhigt an. «Mein Lieber, Sie müssen es einfach herausbekommen.»
«Das habe ich auch vor.»
«Und wie?»
Nolens volens wurden Heros Augen von einer rotgedruckten Stelle in dem offen vor ihm liegenden Buch angezogen, und ebenso nolens volens gingen seine Gedanken zu Tina Cryder, und er schämte und ärgerte sich über sich, als sei er dabei ertappt worden, wie er etwas auf eine Toilettenwand gekritzelt habe. Aber dann dachte er an die große Bildung des Mannes neben ihm, und sein eigener Sinn für Humor kam ihm zu Hilfe. «Durch die Tochter, die nicht zu verachten ist», antwortete er.
Dr. Ferguson murmelte: «Selbst wenn es das größte Opfer fordert...», und ein Leser zischte: «Pst!»
Von allen Orten wäre der Lesesaal der New Yorker Öffentlichen Bibliothek, dieser gewaltige, von Leuten wimmelnde Raum mit seinen vielen Tischen und Stühlen aus Eichenholz und den grünen Lampenschirmen am wenigsten geeignet, um dunkle Vorahnungen zu haben, aber Hero spürte plötzlich eine Verzagtheit und sich nahendes Unheil, und er flüsterte halb zu sich selbst: «Jemand wird auf der Strecke bleiben, ehe dies vorüber ist.»
«Glauben Sie», sagte Dr. Ferguson, und sein Ton verriet, daß er Heros Feststellung als etwas hinnahm, an dem sich nicht rütteln ließ, «ein echter Fall von Vorahnung? Sind Sie Hellseher?»
Hero dachte: Du hast also auch deine kleinen Zweifel, und ärgerlich antwortete er: «Wie soll ich das wissen? Der Beweis ist nicht stichhaltig. Aber wenn ein Hund eine Katastrophe wittern kann, können wir es dann nicht auch?»
«Bei uns ist es nicht ganz so», erwiderte Dr. Ferguson düster. Und dann fügte er hinzu: «Sie müssen die Nerven behalten, mein Lieber», als habe er selber einen Blick in die Zukunft geworfen. «Wir werden sie zweifellos alle brauchen, bis dies vorüber ist. Aber wir haben so wenig Zeit. Sie müssen sich beeilen. Und denken Sie daran, Constable ist mein Freund.» Er erhob sich und ging mit ein wenig mehr gebeugten Schultern davon. Hero blieb mit gesenktem Kopf auf seinem Stuhl sitzen, ohne noch etwas von König Shamshi Adads Merkwürdigkeiten in sich aufzunehmen. Seine Gedanken schweiften zu dem trüben, muffigen Raum hinter dem Zauberladen in der Cedar Street, dem widerspenstigen Besitzer und dem jungen Mädchen, dessen Ehrgeiz es war, wie ihr Vater gesagt hatte, eine richtige Schauspielerin zu werden.
Elftes Kapitel
Tina Cryder ging die 29. Street in westlicher Richtung zur Twelfth Avenue hinunter. Sie machte ein sorgenvolles Gesicht, aber sie ging mit festen, entschlossenen Schritten. Sie wußte, was sie tun mußte. Sie stand auf der teuren Lohnliste einer mächtigen geheimen Organisation, von der sie jede Woche eine beträchtliche Summe bekam. Und sie spürte, daß die Zahlungen jetzt bedroht waren und eines Schutzes bedurften. Daß die Organisation und ihre Ziele verraten werden könnten, ging sie unmittelbar nichts an.
Sie war intelligent genug, um genau zu wissen, wer ihre Geldquelle und was das Ziel der Verschwörung war. Sie hatte entschlossen die Augen davor zugemacht, so sehr, daß das aufgehört hatte, für sie zu existieren. Sie sorgte für Tina Cryder, die das Pech gehabt hatte, in eine Welt hineingeboren zu werden, die sie nicht selber erschaffen hatte, eine Welt, die ein wilder Räuberdschungel war. Und sie hatte ebenso in Zeiten gelebt, da der Beruf und das Vermögen ihrer Familie ihren tiefsten Tiefstand erreicht hatten, so daß sie nicht die Dinge haben konnte, die sie begehrte und die so viele andere weniger verdienten und für die sie von Natur aus viel weniger Voraussetzungen mitzubringen schienen.
Tina Cryder war ein wahrer «Habenichts», und sie war weder eine Intellektuelle noch eine Politikerin. Sie war schön und ehrgeizig. Sie wollte Geld und eine Bühnenkarriere. Sie war außerordentlich habgierig. Soweit sie zurückdenken konnte, wollte sie, wenn sie etwas begehrte, es mit verbissener Wut haben. Ihre Begierden und Wünsche kannten keine Grenzen oder Hindernisse.
Was Talent und Fähigkeit betraf, so fehlte es ihr völlig daran. Es war ihr gelungen, auf der Bühne und in ein oder zwei Filmen eine kleine Rolle zu spielen, aber sie hatte es nicht weiter
Weitere Kostenlose Bücher