Die Hand von drüben
die Tochter zutraf. «Ich glaube selber nicht», sagte er, «daß das möglich ist, und auch nicht, daß es schon einmal gelungen ist. Ein Klient von mir in London hatte aus einer bestimmten Quelle gehört, daß ein Medium angeblich eine Materialisation zustande gebracht habe, und bat mich, es nachzuprüfen. Aber Sie wissen ja, wie es mit solchen Berichten aus zweiter und dritter Hand ist.»
Stimmte es, daß sich Paul Cryders betrübte Miene plötzlich aufgehellt hatte? Jedenfalls ging er zu dem Likörschrank, goß sich einen Whisky ein und sagte, sein Glas erhebend: «Auf Ihr Wohl!» Und dann stellte er es ab und fügte hinzu: «Es tut mir leid, daß wir Ihnen nicht helfen können. Bleiben Sie lange hier?»
«Ich verbringe hier meinen Urlaub», erwiderte Hero, und dann blickte er zu Tina Cryder hin, die am Flügel stand, dicht neben dem Kabinettbild, auf dem man sie mit dem großen Scarlett sah, und ihn beobachtete. Hero fragte sich, ob sie sich absichtlich neben das Bild gestellt hatte. Sie trug ein weites beigefarbenes Frühlingskostüm aus Wolle mit einer kurzen Jacke, das die Linien und Kurven ihrer Figur verbarg, aber dort, genau neben ihr waren sie durch das klassische Kostüm der weiblichen Assistentin eines Zauberers, das enganliegende Trikot mit dem lächerlich kurzen Röckchen, unter dem man die Schenkel hindurchschimmern sah, zur Schau gestellt.
«Arbeiten Sie im Augenblick?» fragte Hero sie.
«Nein.»
«Vielleicht», sagte Hero, «finden Sie’s nach so kurzer Bekanntschaft etwas dreist von mir, wenn ich Sie frage, ob Sie bereit wären, mir einmal eines Abends etwas von New York zu zeigen.»
Er sah deutlich, daß Vater und Tochter einen Blick wechselten, und Tina merkte, daß er ihn aufgefangen hatte.
Sie lachte und sagte: «So machen es die Engländer immer, Vater. Wahrscheinlich werde ich morgen einen förmlichen Brief bekommen, der die Bitte bestätigt.»
«Andere Länder, andere Sitten», sagte Hero. «Tanzen Sie gern?»
«Sehr gern.»
«Aber ich twiste nicht», warnte Hero sie.
Tina lachte von neuem: «Das ist nur etwas für ältere Leute.»
«Wie wär’s mit heute abend?»
Tina machte ein bedauerndes Gesicht. «Leider bin ich heute abend verabredet...»
Cryder, der sich einen neuen Whisky eingoß, drehte sich halb um und blickte seine Tochter beklommen an. Sie wich dem Blick aus.
«Können Sie Ihre Verabredung nicht absagen? Ich würde so gern mit Ihnen tanzen gehen», drängte Hero.
«Wirklich? Nun, ich werde sehen, was sich tun läßt.»
Paul Cryder fand die Sprache wieder: «Bestimmt, bestimmt! Das ist eine gute Idee.» Und dann zu Hero: «Sie gehen mit Tina aus, und sie wird Ihnen die Stadt zeigen. Sie werden sich gut amüsieren.»
Wie plump du werden kannst! dachte Hero, und er fragte: «Ziehen wir uns dafür festlich an?»
Das junge Mädchen setzte eine komisch spöttische Miene auf. «Tun das die Engländer nicht immer?»
«Soll ich Sie, sagen wir, um acht Uhr abholen?»
«Es ist ein weiter Weg hierher», antwortete Tina. «Wäre es nicht besser, wir träfen uns irgendwo in der Stadt?»
«Ich bin altmodisch», sagte Hero. «Ich werde Sie abholen.» Sein Ton war kühl, aber sein Blick war es nicht. Die Botschaft, die er ihr unter diesem Deckmantel sandte, lautete:
«Das wäre hübsch», sagte Tina Cryder.
Auf dem Rückweg dachte Hero ärgerlich über die Situation nach. Es war natürlich töricht von ihm gewesen, auch nur gehofft zu haben, das Problem könne sich so einfach lösen lassen — allein dadurch, daß er den Besitzer eines amerikanischen Zauberladens bat, ihm das Geheimnis der Hand zu offenbaren. Aber nicht nur deswegen fühlte er sich unbehaglich. Man hatte ihn an der Nase herumgeführt. Er war dorthin gegangen, um etwas herauszubekommen. Und jetzt schien es so, als habe er mehr Informationen geliefert, als er erhalten hatte, und man wolle weitere aus ihm herausziehen.
Hatte er seine Zeit verschwendet, die er vielleicht besser hätte nutzen können? Wieder überfiel ihn die Angst, er könne etwas versäumt haben.
Hatte er ihnen nicht damit einen Vorteil zugeschanzt? Wie lange würde es noch dauern, bis Constable dem stärker werdenden Druck auf ihn nachgab? Wie weit waren seine Vorbereitungen schon vorgeschritten? Was war, wenn in der nächsten Séance Mary Constable nicht erscheinen würde? Würde das Constable nicht vielleicht zu sofortigem Handeln veranlassen? Zu einer Flucht oder einer Kontaktaufnahme
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