Die Hand von drüben
gebildete Schlucht hindurch konnten sie ein paar blasse silberne Sterne sehen, die mit den von Menschen gemachten elektrischen Milchstraßen zu wetteifern suchten.
«Es ist nur ein kleines Stück Weg», sagte Tina. «Wollen wir zu Fuß gehen?» Sie machten sich zur East 54. Street auf. Sie hatte ihn untergefaßt, aber einen Augenblick später fand seine Hand die ihre. Es war ein ruheloses kleines Ding, das sich nicht von seiner Hand festhalten lassen wollte, sondern sich immerzu bewegte, als reagiere es auf die Gedanken und Impulse in ihr. Und diese Bewegung wurde so erregend, daß er nicht wagte, sie anzusehen, und auch sie wandte ihm den Blick nicht zu, und so gingen sie stumm durch die wenigen Straßen, und nur das Flattern der kleinen Finger ließ ihn ihre Begierde spüren.
Sie waren einen Augenblick entsetzt, als sie das lärmende, rauchige Nachtlokal betraten. war wie immer am Samstagabend überfüllt. Es warteten schon viele Leute, die Einlaß begehrten, vor den Absperrungsseilen, und da sich die beiden keinen Platz hatten reservieren lassen, hätten sie vielleicht unverrichteterdinge wieder gehen müssen — denn nicht einmal das Zeigen eines Geldscheins machte hier Eindruck —, hätte nicht der Mann an der Barriere Tina Cryder erkannt. Es waren wahrscheinlich ihre Augen, an die er sich erinnerte, aber ebenso, daß sie ein- oder zweimal mit einem Filmregisseur hiergewesen war. Es war sein Beruf, sich so etwas zu merken. Er sprach ein paar Worte zu einem der Oberkellner, wobei er kaum den Mund auf machte, Tina und Hero wurden in den Hauptraum eingelassen, wo sie sich Schulter an Schulter und Schenkel an Schenkel auf einer der mit einem gestreiften Stoff bezogenen Bänke niederließen.
«Wie machen Sie das nur immer», fragte Tina, «wo Sie doch in New York ganz fremd sind?»
«Sie waren es», sagte Hero. «Ich habe nur zugesehen.» Er bestellte Champagner, hatte aber das merkwürdige Gefühl, daß sie nicht viel davon trinken würden.
Der Raum wirbelte von Musik, Trommeln und Menschen. Da Mitternacht vorüber war, wirkten die Mädchen und die Männer, die hier waren, schon ein wenig mitgenommen. Die Gesichter der Mädchen waren dunkelrot, die Augen glänzten vom Trinken und der physischen Erregung. Haarsträhnen hingen in die Gesichter, und die teuren Kleider waren zerknittert. Die Gesichter der Männer waren ebenfalls rot und glänzten vor Schweiß. Sie tanzten, die Münder an die Wangen oder Ohren ihrer Partnerinnen gepreßt. Die Trommelrhythmen waren wild und begannen Hero auf die Nerven zu gehen.
Der Kellner stellte einen silbernen Kübel vor sie auf den Tisch und öffnete die Flasche. Tina Cryder und Alexander Hero hoben ihre Gläser, prosteten sich stumm zu und tranken einen Schluck, wobei sie einander anblickten.
«Wollen wir?» fragte Hero. Er erhob sich und merkte dabei, daß seine Beine leicht zitterten. Sie kam von der anderen Seite des Tisches herum, glitt in seine Arme, und dann bewegten sie sich auf der überfüllten Tanzfläche, geschoben, gestoßen, geschubst von all den Körpern, die sich rings um sie drehten, obwohl kaum ein Zentimeter Raum dafür zu sein schien. Weil sie so klein war, mußte sich Hero bücken, und auch dann erreichten seine Lippen nur das dichte, weiche, duftende Haar. Er sog den Duft ein, als wolle er sie ganz in sich einsaugen.
Dennoch war die Wirkung seltsam und ernüchternd, und sie spürten es beide. Kräfte von außen schleuderten sie gegeneinander, stießen sie an, zerrten an ihnen, wirbelten sie herum in jener Art von Gedränge auf einer Tanzfläche, wie es jene suchen, die es nötig haben, aufgeputscht zu werden. Sie hatten tanzen und ihren Rhythmus miteinander erproben wollen, aber hier waren nur Hitze und Lärm und vom Alkohol bewirkte «Stimmung», die sie nicht brauchten. Sie waren jetzt Freunde und Gefährten, die einander begehrten und bereit waren, ihre Ungeduld zuzugeben. Sie hatten lange genug gewartet. Sie drängten sich durch die Menge zu ihrem Tisch zurück, und als sie sich wieder gesetzt hatten, sagte Hero: «Ich glaube, ich kann das nicht mehr ertragen. Können Sie es?»
Sie schüttelte den Kopf.
«Sollen wir nach Hause gehen?»
«Ja.»
Hero verlangte die Rechnung, und sie verließen das Lokal und stiegen in ein davor wartendes Taxi.
Von da an vermochte keiner von beiden noch klar zu denken, zu planen, zu urteilen oder etwas vorzutäuschen. Das Taxi hatte sich kaum in Bewegung gesetzt, als sie einander schon in den Armen
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