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Die Hand von drüben

Die Hand von drüben

Titel: Die Hand von drüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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unschuldigen Ausdruck im Gesicht, wie ein kleines Mädchen in seinem ersten Partykleid, das sehnsüchtig hofft, man werde es bewundern.
    Sofort und unwiderruflich waren da wieder der Zauber, die Anziehung, die Begierde.
    Sie trug ein hellblaues Abendkleid, das ebenso kostbar wie schlicht war. Es war aus glänzender rauschender Naturseide, der Rock kurz und weit, das Vorderteil streng. Hinter ihr in dem Zimmer hing ein großer Spiegel, und Hero sah in ihm, daß das Kleid hinten tief ausgeschnitten war, fast bis zur Taille. Über ihre Schulter hinweg erspähte er noch mehr, den Fuß eines breiten Bettes, auf dessen gekräuselter Decke eine weiße Nerzjacke und weiße Handschuhe lagen. Die Farbe des Kleides entsprach der ihrer Augen. Sie trug ihr Haar zu einem riesigen glatten Knoten hochgekämmt und wirkte dadurch größer. Zugleich dachte Hero, es war eine so kunstvolle und raffinierte Frisur, daß, wenn man nur einige Haarnadeln aus ihr herauszog, der ganze Knoten sich in einer prächtigen leuchtenden Kaskade auflösen würde.
    Sie waren fast versunken in diesem ersten Augenblick gegenseitiger Bewunderung, so machtvoll war das Gefühl der Wiederentdeckung, das sie beide ergriff, daß sie sich fast in die Arme gefallen wären. Aber das Wissen, das der Abend so enden würde, bewahrte sie davor. All dies geschah binnen weniger Sekunden, ohne daß sie ein Wort wechselten.
    Jetzt, da sie es wußten, jetzt, da es feststand, konnten sie ihre Begierde bezähmen, um den Höhepunkt hinauszuschieben, um das Schritt um Schritt Sich-der-Intimität-Nähern zu genießen, um die Lust dadurch zu steigern, daß sie ihr noch nicht nachgaben. Und so, nachdem dieser Augenblick vorüber war, sprachen sie, fast steif und förmlich zueinander.
    «Ich habe das Taxi behalten», sagte Hero.
    «Sehr gut. Zu dieser Abendstunde findet man hier immer schwer eins. Gefällt Ihnen mein Kleid.»
    «Sie sehen bezaubernd darin aus. Wohin werden wir gehen?»
    «Kommen Sie sich sehr reich vor?»
    «Ich habe mein Sparschwein zerschlagen.»
    «Es gibt ein Restaurant, das heißt. Es ist ein Erlebnis, wenn man noch nie dort gewesen ist.»
    «Das Essen?» fragte Hero.
    «Ja. Und das Lokal ist selbst für New York sehr groß.»
    Ihre Sorge um seine Geldmittel hätte Hero auffallen müssen, hätten ihn nicht ihre Gegenwart, ihre strahlende Erscheinung und der Duft, der sie umwehte, ein Pariser Duft, der ihm vertraut war, ganz gefangengenommen.
    «Kann man dort tanzen?»
    «Nein. Aber wenn Sie wollen, können wir danach ins gehen.»
    «Wissen Sie, ohne Sie wäre ich verloren.»
    Sie lachte darüber und drehte sich um, um ihre Jacke zu holen, und machte dabei die Tür zu ihrem Schlafzimmer weiter auf. In dem langen Spiegel, der das Bett reflektierte, sah man jetzt ein hellblaues Nachtgewand über die Decke gebreitet liegen. Seine Botschaft war klar und unmißverständlich, und von neuem erfüllte Hero die Erregung über die verheißende Eroberung. Er wünschte, daß ihm in diesem Augenblick nicht blitzartig eingefallen wäre, wie Dr. Ferguson im Leseraum der Öffentlichen Bibliothek neben ihm saß, ihn spöttisch anblickte und murmelte: «Selbst wenn es das größte Opfer fordert...»
    Dennoch ließ ihn das im Augenblick innerlich lächeln und erinnerte ihn daran, daß er ebenso beruflich wie zum Vergnügen hier war.
    Die ganze Fahrt in dem Taxi saßen sie steif nebeneinander und plauderten gedrechseltes Zeug wie zwei Jugendliche, die zum erstenmal zusammen ausgehen, und Hero fand das, so paradox es war, köstlich und beglückend.
    Das Taxi bog in die Park Avenue und dann in die Schlucht der strahlend erleuchteten Türme und Bürogebäude ein und setzte sie vor dem kupferglänzenden Seagram-Haus in der 52. Street ab, in dem sich die «Vier Jahreszeiten» befanden.
    Der Oberkellner sagte: «Haben Sie einen Tisch bestellt, Sir?» Aber seine klugen Augen schätzten sie ab und bildeten sich ein Urteil über sie.
    «Nein, leider nicht, aber...», sagte Hero und ließ in seiner Hand eine Zehn-Dollar-Note sichtbar werden.
    «Ich glaube, wir können Sie noch unterbringen, Sir.»
    Tina lächelte befriedigt und drückte Heros Arm ein wenig, als sie dem Oberkellner an einem Bassin vorüber, einer der Besonderheiten des Lokals, zu einem diskreten Tisch folgten. Hero wußte, daß es ein gutes Lokal war und nicht eines jener für die Touristen, die große Masse bestimmten. Es war ein verheißungsvoller Beginn. Tina war so begierig wie ein Kind,

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