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Die Hand von drüben

Die Hand von drüben

Titel: Die Hand von drüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Kapitel

    Alexander Hero erwachte in seinem Hotelzimmer nach zwölf Uhr mittags, verstimmt und deprimiert. Er hatte am Empfang hinterlassen, daß man, wenn das FBI um acht Uhr anrufe, sagen solle, er schlafe noch. Und er kämpfte jetzt nicht nur gegen das Gefühl an, dadurch, daß er den Vormittag verschlafen hatte, Zeit verloren zu haben, sondern auch gegen die beunruhigenden Enthüllungen des Abends zuvor und außerdem gegen die Scham, sich in etwas eingelassen zu haben, das einem Verrat fast gleichkam.
    Es regnete draußen, und die grauen Wolken hatten bereits die Spitze des Chrysler-Gebäudes verschluckt und drohten bis zu seinem eigenen Fenster im 18. Stock hinunterzusteigen. Er dachte düster über die Konsequenzen seines Besuches in dem Zauberladen und insbesondere über seine impulsive, leidenschaftliche Liebesaffäre mit der Tochter des Eigentümers nach. Denn wenn es stimmte — und jetzt, da er nüchtern darauf zurückblickte, war er davon überzeugt —, daß Tina Cryder nicht nur die Materialisation Ruth Lesleys, sondern ebenso die Stimme und Gestalt Mary Constables war, dann wußte sie auch, daß Alexander Hero und Peter Fairweather ein und dieselbe Person waren. Damit war seine Tarnung dahin, und er konnte Dr. Ferguson, Wiener und der Operation Fingerhut nichts mehr nützen.
    Einen Augenblick lang war das Gefühl der Übelkeit, das diese Gedanken in ihm verursachten, so stark, daß er nahe daran war, Wiener anzurufen und ihm alles zu gestehen. Und er hatte tatsächlich schon den Hörer von der Gabel genommen, als er sich, vielleicht zu seiner Selbstverteidigung, den Dialog ausmalte, der bestimmt folgen würde, nachdem er Wiener die erste Umarmung des Mädchens, der angeblichen Ruth Lesley, in dem Kabinett gebeichtet hatte.
    Wiener: Hero:     Jedoch noch zur rechten Zeit wurde Hero bewußt, wie lächerlich er sich damit machen würde, und so legte er den Hörer wieder auf, noch ehe die Telefonistin sich melden konnte. Es war einfach unmöglich, das zu einem Mann von Wieners Kaliber zu sagen, darauf zu bestehen, daß er, Alexander Hero, eine im Dunkeln geküßte Frau allein durch die sexuelle Lust, die ihr Mund in ihm weckte, zu identifizieren vermochte.
    Hero klingelte nach dem Zimmerkellner, damit er ihm Kaffee und ein ausgiebiges Frühstück bringe, duschte, während er darauf wartete, daß es kam, und versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen.
    Er war nach wie vor davon überzeugt, daß er nicht genug Beweise in der Hand hatte. Man konnte kaum erwarten, daß Wiener die «außerplanmäßigen» Schäkereien eines englischen Rechercheurs des Übersinnlichen, den er sowieso nicht mochte, ernst nahm. Oder aber, wenn Wiener Heros Geschichte glaubte, würde er darüber so entsetzt sein, daß er Schritte unternahm, die die Operation Fingerhut zunichte machen würden, und das alles, weil er, Alexander Hero, sich nicht zu beherrschen vermocht und sich mit einer scharfen kleinen Hure eingelassen hatte. Obwohl er wütend auf sich selbst war, lächelte Hero plötzlich bei dem Gedanken an Sex und Spione. Wann war da Zeit, jemandem Geheimnisse zu entlocken oder sie zu verraten?
    Heros Praxis als selbständiger Rechercheur okkulter Phänomene kam ihm zu Hilfe bei der Entscheidung, Wiener nicht anzurufen. Eine persönliche Überzeugung, so stark sie auch sein mochte, war kein Beweis. In seiner ganzen Laufbahn hatte er gerade gegen dies ankämpfen müssen, die persönliche Überzeugung von Zeugen, daß das, was sie zu sehen, hören oder fühlen geglaubt hatten, das Evangelium war. Es war tatsächlich nicht das Jota eines Beweises vorhanden, daß das Mädchen in dem Kabinett und die kleine Constable Tina Cryder waren. Erscheinungen waren von den Umständen bedingt. Sie war klein genug, um Mary Constable mit lang herunterfallendem Haar darstellen zu können. Sie war Schauspielerin und wahrscheinlich eine ausgezeichnete Imitatorin. Und was das große Mädchen betraf, das er selber in dem Kabinett in den Armen gehalten hatte, so konnte das einer der ältesten Tricks von Illusionisten, die durch das Dunkel begünstigt wurden, gewesen sein.
    Vermutung! Begründete Mutmaßung! Der Wahrheit wahrscheinlich sehr nahe, aber kein Beweis. Warum nicht abwarten, was in der Séance am nächsten Abend geschah?

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