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Die Hand von drüben

Die Hand von drüben

Titel: Die Hand von drüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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91. Street wartete Tina Cryder auf ein Zeichen, um das, was man vor ihr verlangt hatte, auszuführen. Am vierten Finger ihrer rechten Hand trug sie den goldenen Trauring, und sie ging noch einmal ihre Instruktionen eine nach der anderen durch, wie sie es schon viele Male getan hatte. Wenn das Schicksal es so beschloß, wußte sie, daß sie sie genau ausführen würde, denn sie war verloren, saß in einer Falle und konnte den Folgen nicht mehr entgehen. Sie konnte nicht mehr tun, als sie getan hatte, und wenn es der Wille des Schicksals war, den Engländer zu ihr in das verdunkelte Kabinett zu schicken, dann würde sie ihre Hand, und was in ihr war, an seinen warmen Nacken pressen, und wenn er daran starb, war es besser, als wenn sie sterben würde.

    Die Dunkelheit legte sich um den Kopf und die Schultern Saul Wieners wie ein schwerer Mantel, und sofort spürte er, wie sich in ihm in der Erinnerung an die Worte, die der Engländer zitiert hatte, der Widerstand gegen jede Art von Manifestation, zu der es kommen würde, regte. Er rief sich alles das ins Gedächtnis, was Alexander Hero ihm über die Séancen und die Leute, die sie veranstalteten, gesagt hatte. Dennoch war ihm unbehaglich zumute, denn die Finsternis war eine Tatsache, die sich nicht wegzaubern ließ. Und ihm wurde jetzt klar, daß es ihm nicht lieb war, daß man seine Hände festhielt. Wenn etwas oder jemand aus dem Dunkel auf tauchte und ihn berührte, konnte er sich nicht wehren oder den oder das verscheuchen. Es ging ihm plötzlich auf, daß er genau in der inneren Verfassung war, in der man ihn haben wollte, beklommen, bedrückt, Phantastereien zugänglich. Er durfte nicht daran denken, daß ihn etwas im Dunkel berühren könnte, aber er dachte weiter daran.
    Hero hatte ihm den Verlauf der ersten Séance, die Musik, den Gesang und die Geräusche geschildert. Aber kein Laut war jetzt zu hören. Sie saßen alle mucksmäuschenstill da und warteten. Die anderen waren offenbar an diese Art der «Vorbereitung» gewöhnt, denn niemand bewegte sich oder sagte ein Wort. Wiener hörte das Ticken seiner Armbanduhr, das Klopfen seines Herzens und die gedämpften Geräusche der Stadt, die von draußen hereinhallten. Er hatte einmal in einem dunklen Keller darauf gewartet, daß ein Mörder aus seinem Versteck hervorkam und er ihn verhaften konnte. Er war weder nervös noch ängstlich gewesen, sondern hatte nur kühl berechnet, wie er seine Aufgabe durchführen würde, ohne dabei ums Leben zu kommen.
    Worauf wartete er hier? Harmlose Dummköpfe wurden mit gemeinen Tricks an der Nase herumgeführt. Kindischer Gespensterspuk, flatternde Tücher, rasselnde Tamburine, phosphoreszierende Gesichter. Er glaubte weder an Gespenster noch Geister, noch an die Wiederkehr der Toten. Aber woran glaubte er dann? Und glaubte er überhaupt an etwas? Ich bin ein Jude, dachte er, und glaube darum an Gott. Aber was und wer war Gott, und wo war er? War er hier im Dunkel bei ihnen, oder war er nur eine Idee, eine Abstraktion, ein Aberglaube? Und wenn er das glaubte, wie unterschied er, Wiener, sich dann von den anderen, die dort im Dunkeln verborgen waren, jene, die glaubten, daß die Seelen der Toten weiterlebten?
    Er spannte jetzt alle seine Sinne an, obwohl er wußte, daß das verkehrt war — seine Augen, damit sie jeden schwachen Schimmer wahrnahmen, seine Ohren, damit sie auch den leisesten Laut hörten. Hero hatte ihm eingeschärft, er solle beobachten, und Wiener wußte sehr gut, daß er das nur konnte, wenn er gelassen blieb. Zum erstenmal ging ihm etwas vom Wesen der Arbeit Alexander Heros auf, und er begann auch den Mann selbst zu verstehen und warum er sich weigerte, zu glauben oder nicht zu glauben, und wie es ihm in all dem gelang, sich nichts vormachen zu lassen.
    Ein kalter Wind blies plötzlich in Saul Wieners Gesicht. Etwas Eisiges berührte ihn. Ohne es zu wollen, schrie er auf: «Jesus Christus!»
    Er wurde von neuem berührt, aber diesmal war es eine weiche, warme, liebkosende Berührung. Seine aufgeputschten Nerven ließen ihn im Stich, und er begann sich zu wehren.
    Bessmer hielt seine Hand fest und flüsterte: «Pst. Machen Sie sich keine Sorgen. Es wird Ihnen nichts geschehen. Die Geister sind alle liebevoll.»
    Wiener spürte, wie in ihm eine wilde Wut auf diesen Mann aufstieg, und als er dann merkte, wie seine Finger noch fester umklammert wurden, hätte er am liebsten geschrien: Aber er tat es nicht, denn noch

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