Die Hand von drüben
und wartete im Dunkel so gespannt, als spiele sich die Szene wie auf einer Filmleinwand vor ihm ab.
Von neuem trat tiefe Stille ein, und dann hörte man einen lauten Bums, als ob jemand auf den Boden gefallen sei.
Aber das Indianische in Wieners Blut war auch in seinen Augen und befähigte ihn, durch den trüben Lichtschein hindurchzuspähen und zu erkennen, daß Alexander Hero vor dem Kabinett auf die Knie gefallen war und, nach der Neigung seines Kopfes und der Krümmung seiner Schultern zu urteilen, das Gesicht in den Händen vergraben hatte und jetzt aufstöhnte wie ein gequältes Tier. Wiener hörte ihn sagen: «Ich kann nicht! Nicht mehr! Nicht mehr!»
Zum Teufel, dachte Wiener, will er sich davor drücken?
Die sanfte Stimme rief: «Peter, mein Geliebter, warum kommst du nicht zu mir?»
«Nein, Ruth! Es ist mehr, als Fleisch und Blut ertragen können. Ich hätte dich nicht zurückrufen dürfen. Wir müssen einander in Frieden lassen.»
Wiener stand das Haar im Nacken zu Berge, und seine Nerven schrillten wie Alarmglocken bei dem Geheimnis des doppelten Dramas, dem Spiel im Spiel, das vor ihm weiterzugehen schien, und er war sich jetzt einer Gefahr bewußt, die er nicht verstand, einer Art tödlichen Duells, das im Schutz des Dunkels ausgefochten wurde.
«Geh zurück, Ruth, bis wir uns wiederbegegnen. Eines Tages werde ich zu dir kommen.»
«Willst du mir nicht Lebewohl sagen, Peter?»
«Leb wohl, Ruth!»
Wiener sah, daß Hero immer noch vor dem Kabinett kniete. Er ging nicht hinein. Etwas hatte nicht geklappt. Er merkte, daß seine linke Hand kräftiger gedrückt wurde. Es war die, die Arnold Bessmer hielt, und sein Griff war nicht nur hart, sondern eiskalt, als ob sein Blut plötzlich erstarrt wäre.
Leiser und noch ferner hörte man die Stimme Ruth Lesleys: «Auf Wiedersehn dann, Peter. Auf Wiedersehn.»
Das Tamburin rasselte einmal leise, und dann folgte ein Schweigen, das plötzlich und unheimlich durch ersticktes Stöhnen und Schreien, das aus dem Kabinett hallte, gebrochen wurde. Und gleich darauf hörte man die heisere Stimme Arnold Bessmers brüllen: «Ist dir nicht gut, Mutter? Was ist los, Mutter?»
Als sei es die Antwort darauf, dröhnte die Trommel, wimmerte das Akkordeon einen Melodiefetzen, ertönten schnell hintereinander Klopfen und Pochen. Wiener spürte, wie die Spannung von Bessmers Griff nachließ, und im gleichen Augenblick sah er die Umrisse von Heros Gestalt in ihrer ganzen Größe. Der Engländer stolperte durch das Dunkel zu dem Halbkreis zurück, setzte sich wieder auf seinen Platz, griff nach den Händen der neben ihm Sitzenden, und die Kette war wieder einmal geschlossen.
Warum war Hero nicht in das Kabinett gegangen, um sich die Person dort näher zu betrachten? Was war der Sinn dieser sentimentalen und idiotischen Verzichts- und Abschiedsszene, und für wen hatte man sie gespielt? Ehe Wiener weiter darüber nachdenken konnte, hörte man von neuem das Klingeln der Glöckchen an Arm- und Fußgelenken, das die Anwesenheit Prinzessin Devis ankündigte, und dann ertönte die alberne Babystimme, die dadurch kaum erträglicher wurde, daß sie durch einen kleinen Schalltrichter sprach. Sie lispelte: «Professor Constable? Professor Constable, sind Sie da?»
«Ja, ich bin hier.» Constables Stimme, die halb angewidert, halb eifrig klang wie die eines Schülers im Klassenzimmer, der schon allzu lange darauf gewartet hat, aufgerufen zu werden, kam von Wieners Linken, und der FBI-Mann rückte etwas zur Seite, um in die Richtung zu blicken. Aber in dem Seanceraum brannte kein Licht mehr. Wer das Licht bedienen mußte — aller Wahrscheinlichkeit nach war es Pratt —, hatte einen Wink erhalten, die rote Birne auszuknipsen, und der Raum war wieder in undurchdringliches Dunkel gehüllt.
«Mary kommt heute abend nicht.» Eine seltsame Arroganz verriet sich in der Babystimme, fast etwas wie Genugtuung, als sie dies verkündete.
«Wieso? Warum kommt sie nicht? Wo ist sie?» fragte Constable.
«Sie ist weit, weit weggegangen. Vielleicht wird sie nie, nie wiederkommen. Ach, die arme Mary, es ist so kalt und dunkel, wo sie ist.»
«Was soll das heißen?» rief Constable. «Holen Sie sie her. Ich will sie hierhaben.» Es war, als ob er und diese idiotische Stimme allein in dem Raum wären.
Für Wiener wurde dieser Dialog zu einem unheimlichen Alptraum, der die blöden Worte und die alberne Stimme, in die die Drohung eingehüllt war, daß Constable seine Tochter zum zweitenmal
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