Die Hand
gegangen. Das hinderte sie aber nicht daran, weiter an das Gute im Menschen zu glauben, und um so mehr bemutterte sie die Männer im Haus der Hoffnung, denen ihrer Meinung nach, genau wie ihr selbst, durch widrige Umstände die Sonnenseite des Lebens verschlossen geblieben war.
Daß die meisten ihrer „Untermieter“ freiwillig in den Schatten getreten waren und mit ihrem Schicksal nur insofern haderten, als es ihnen im ungeeignetsten Moment die Polizei bescherte, war für Sarah Mills kein Gesprächsstoff. Bei diesem Thema konnte die Frau sogar ernstlich böse werden. Um der Wahrheit gerecht zu werden, muß allerdings bemerkt werden, daß sich viele der Männer im Haus der Hoffnung, angesteckt durch Miß Mills Herzenswärme, durchaus bemühten, ihrem Gaunerleben ade zu sagen.
Jerry Hoskins gehörte leider nicht zu den auf diese Weise Geläuterten. Im Moment stand er mit gesenktem Kopf vor der molligen Sarah Mills, wobei es ihm meisterhaft gelang, reumütig auszusehen. Sarah Mills, die sowieso kaum eines echten Zorns fähig war, wurde dadurch schon wieder fast gänzlich besänftigt. Das hämische Zucken um Jerry Hoskins’ Mundwinkel entging ihr dabei, weil der, wie gesagt, zu Boden blickte, was Miß Mills als Zeichen der Einsicht versäumter Pflichten deutete. Dies nämlich machte sie Jerry Hoskins gerade zum Vorwurf.
Mit Sanftmut in der Stimme, aber leisem Tadel redete die Frau auf ihr Sorgenkind ein: „Was ist nur los mit Ihnen, Mister Hoskins? Mister Prendergast hat sich jetzt schon zweimal über Ihre mangelnde Arbeitsleistung in der Schreinerei beklagt. Mister Prendergast sagt, Sie sind nicht bei der Sache, sind mürrisch und bemühen sich so gar nicht um Sorgfältigkeit. Sind Sie vielleicht krank, Mister Hoskins?« Sarah Mills klang echt besorgt. Leider konnte sie nicht Gedanken lesen. Die gute Miß Mills wäre sonst in einen Zustand heller Empörung gefallen.
„Mister Prendergast und seine Klagen sind mir Wurscht“, dachte Jerry Hoskins nämlich, von Miß Mills’ Rede nicht im mindesten beeindruckt. Zu ihr äußerte er sich aber nun scheinheilig: „Sie haben ja recht, Miß Mills. Ich muß zugeben, ich war in letzter Zeit wirklich manchmal schludrig. Ich fühlte mich nicht ganz wohl, was aber jetzt vorbei ist. Ich werde mich ganz bestimmt bemühen, so daß Mister Prendergast in Zukunft mit mir zufrieden sein kann. Ganz bestimmt gebe ich Ihnen keinen Anlaß zur Klage mehr, Miß Mills. Wo Sie sich doch so um uns kümmern. Ich bin Ihnen auch sehr dankbar dafür.“
Miß Sarah Mills ließ sich von Jerry Hoskins täuschen, kein Wunder bei ihrer arglosen Seele, die einem verdorbenen Charakter vom Kaliber eines Jerry Hoskins nicht gewachsen war. Liebevoll ruhte ihr Blick auf dem armen Jerry, den sie jetzt meinte trösten zu müssen. „Mein lieber Mister Hoskins. Ich werde Mister Prendergast Bescheid geben, daß Sie ehrlichen Herzens Besserung gelobten. Vergessen wir die ganze leidige Sache. Ich weiß, wie steinig der Pfad der Tugend ist, den zu beschreiten Sie sich, zu Ihrem Besten, entschlossen haben. Und danken Sie nicht mir dafür, daß Ihnen dieses Haus diese Möglichkeit eröffnet, sondern unserer geliebten, leider zu früh von uns gegangenen Lady Turley, die schon zu Lebzeiten diese segensreiche Einrichtung gründete und über ihren Tod hinaus durch ihre überaus großzügige Stiftung dafür sorgt, daß ich weiterhin meinen bescheidenen Beitrag zu Ihrem weiteren Lebensweg leisten darf.“
Mit diesem weihevollen, aber gutgemeinten Vortrag entließ sie den abgefeimten Gauner Jerry Hoskins, der — so hätte sich wohl Sarah Mills ausgedrückt, hätte sie eine Ahnung gehabt — finstere Gedanken in seiner Brust hegte.
Noch zwei, drei Besuche bei Clive, da war sich der Gauner sicher, dann könnten Miß Mills und der nicht minder anstrengende Mister Prendergast mit ihrem Gequatsche anderen auf die Nerven fallen. Ihm, Jerry Hoskins, nicht mehr. In spätestens einer Woche würde er die Taschen voller Geld haben. Vielleicht sogar soviel, daß er ernsthaft darüber nachdenken konnte, ehrlich zu werden. Denn, so lautete eine von Jerry Hoskins’ Lebensweisheiten: Der gerade Weg ist erst dann zu begehen, wenn man es sich leisten kann. Und diesen Zustand konnte man nach Meinung Jerry Hoskins’ nun mal nur mit krummen Touren erreichen.
Über seinen angenehmen Zukunftsträumen, wie er sein weiteres Dasein in Luxus und Müßiggang gestalten würde, vergaß Jerry Hoskins einen anderen, durch die Realitäten des
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