Die Hassliste: Roman (German Edition)
»Stacey hat mir erzählt, dass du mit ihrer Mutter gesprochen hast.« Mom reagierte nicht. »Sie hat behauptet, du hättest gesagt, sie soll sich ihr Gerede in den Arsch stecken.«
Mom gluckste. »Na ja, du weißt, wie Lorraine manchmal drauf ist. Die trägt ihre Nase reichlich hoch. Ich wollte ihr schon lange mal sagen, dass sie sich ihr Gerede in den Arsch stecken soll.« Sie gluckste wieder, dann kicherte sie, immer noch mit geschlossenen Augen und dem Kopf auf dem Lenkrad. »Das war einfach die erste Gelegenheit, wo es gepasst hat. War ein ziemlich gutes Gefühl.«
Sie blinzelte mich mit einem Auge an und begann dann, laut loszulachen. Ich konnte nicht anders, ich musste auch kichern. Einen Augenblick später brüllten wir vor Lachen, und dass wir dabei auf den Vordersitzen ihres Autos in der verschlossenen Garage saßen, störte uns kein bisschen.
»Willst du hören, was ich genau zu ihr gesagt hab? Sie soll sich ihr blödsinniges Gewäsch in ihren widerlichenFettarsch stecken!« Wir lachten noch mehr. Nach Luft ringend fügte Mom hinzu: »Und ich hab ihr erzählt, dass Howard mich letztes Jahr auf der Poolparty angebaggert hat.«
Jetzt schnappte ich nach Luft. »Machst du Witze? Staceys Dad hat dich angebaggert? Ekelhaft! Der ist doch so haarig und so alt und so fies.«
Sie schüttelte den Kopf und bekam jetzt wirklich kaum noch Luft zum Reden. »Ich hab … mir das doch … bloß ausgedacht. Herrje, ich wär zu … gern dabei gewesen … als sie ihn … drauf angesprochen hat.«
Wir ließen uns nach hinten in die Sitze fallen und hörten Ewigkeiten lang nicht auf zu lachen. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so gelacht hatte. Mein Mund hatte ganz vergessen, wie Lachen geht. Jetzt kam es mir fast so vor, als hätte es irgendeinen besonderen Geschmack.
»Du bist unmöglich«, sagte ich, als wir wieder normal atmen konnten. »Ich find’s ja super, aber du bist unmöglich.«
Sie schüttelte wieder den Kopf und wischte sich mit dem kleinen Finger die Tränen aus den Augenwinkeln. »Nein. Unmöglich sind die Leute, die dir keine zweite Chance geben.«
Ich blickte auf meinen Rucksack und zuckte mit den Achseln. »Na ja, das kann man vielleicht sogar verstehen. Schließlich hat es schon so ausgesehen, als hätte ich Schuld. Du brauchst mich nicht zu verteidigen, Mom. Das wird schon wieder mit mir.«
Jetzt wischte sich Mom mit den Ärmeln ihrer Kostümjacke über die Augen. »Aber die müssen doch einsehen,dass Nick der Täter war, Liebling. Er ist der Böse. Das hab ich dir schon vor Jahren gesagt. Du bist so hübsch – du hast einen netten Jungen als Freund verdient. Nicht so einen wie Nick. So jemand wie Nick hat nie zu dir gepasst.«
Ich verdrehte die Augen. Nicht schon wieder diese Tour. Andauernd hatte Mom auf mich eingeredet, Nick würde mir nicht guttun. Ich solle nicht mit Typen wie ihm rumhängen. Irgendwas würde nicht stimmen mit Nick – das könnte sie an seinen Augen ablesen. Und jetzt vergaß sie auch noch, dass er tot war und es überhaupt keinen Sinn ergab, mir weiter Vorträge darüber zu halten, wie schlecht er war, denn das zählte ja sowieso alles nicht mehr.
Ich tastete nach dem Türgriff. »Bitte nicht schon wieder. Im Ernst, Mom. Nick ist tot. Können wir das jetzt alles endlich mal vergessen?« Ich drückte die Tür auf und stieg aus, meinen Rucksack im Schlepptau. Ein stechender Schmerz fuhr durch mein Bein und ich verzog das Gesicht.
Mom schnallte sich ab und stieg auf der anderen Seite aus. »Ich will mich doch nicht mit dir streiten, Valerie«, sagte sie. »Ich möchte nur, dass du glücklich bist. Nie wirkst du glücklich. Dr. Hieler hat vorgeschlagen …«
Am liebsten hätte ich sie wütend angefunkelt und ihr ins Gesicht gesagt, was meine Erfahrung mit dem Glück war: Dass man nie weiß, wann es sich in Entsetzen verwandelt. Dass es nichts ist, was bleibt. Dass ich
vor
Nick die meiste Zeit unglücklich gewesen war und dass sie und Dad ja wohl wüssten, wieso. Und überhaupt, sie selbst war doch auch nicht glücklich, ob ihr das schon mal aufgefallen war? Aber als ich sah, wie sie in ihrem zerknittertenKostüm dastand und mich über das Autodach hinweg anguckte, mit Tränen in den Augen und einem vom Lachen geröteten Gesicht, wäre es mir gemein vorgekommen, diese Dinge zu sagen. Auch wenn sie der Wahrheit entsprachen.
»Mom. Ist schon okay«, sagte ich. »Ich denk nicht mal mehr an Nick, ehrlich.« Ich drehte mich um und ging ins
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