Die Hassliste: Roman (German Edition)
Haus.
Drinnen lehnte Frankie am Küchentresen und aß ein Sandwich. Seine Haare wirkten etwas mitgenommen. Er hielt sein Mobiltelefon in der Hand und tippte wie wild eine SMS an irgendwen.
»Was ist los?«, wollte er wissen, als ich reinkam.
»Mom«, sagte ich. »Frag lieber nicht.«
Ich machte den Kühlschrank auf und nahm mir eine Cola, lehnte mich neben ihn an den Tresen und öffnete sie. »Warum kriegt sie’s einfach nicht in ihren Kopf, dass Nick tot ist und dass sie aufhören kann, mich dauernd wegen ihm zu nerven? Warum muss sie mir andauernd Vorträge halten?«
Frankie drehte sich zu mir und sah mich kauend an. »Wahrscheinlich hat sie Angst, du wirst wie sie und heiratest jemanden, den du nicht ausstehen kannst«, sagte er.
Ich wollte etwas erwidern, aber da hörte ich am Klappern der Garagentür, dass Mom gleich reinkommen würde. Darum schlich ich mich nach oben in mein Zimmer.
Konnte gut sein, dass Frankie recht hatte. Mom und Dad waren alles andere als glücklich. Vor letztem Mai hatten sie ständig darüber geredet, sich scheiden zu lassen, was echt ein Segen gewesen wäre. Frankie und mirwar fast schwindlig geworden vor Glück bei der Vorstellung, dass endlich Schluss wäre mit den ewigen Streitereien.
Aber ironischerweise hatte der Amoklauf, der jede Menge andere Familien ins Unglück gestürzt hatte, meine eigene wieder zusammengebracht. Angeblich wollten meine Eltern »der Familie nicht ausgerechnet in dieser Zeit extremer Belastung auch noch eine Trennung zumuten«, aber ich wusste, wie es wirklich war.
1. Dad war ein ziemlich erfolgreicher Anwalt und das Letzte, was er brauchen konnte, waren Zeitungsartikel, die den Eindruck entstehen ließen, dass die tiefere Ursache für das Massaker an unserer Schule in seinen Eheproblemen zu suchen war.
2. Mom hatte zwar einen Job, aber der war lange nicht so gut wie der von Dad. Sie verdiente zwar Geld, aber nicht genug. Und uns allen war klar, dass noch einige saftige Rechnungen für meine psychiatrische Behandlung ins Haus kommen würden.
Frankie und ich mussten uns also mit dem Stand der Dinge zwischen unseren Eltern arrangieren. Normalerweise bestand er in mühsam gewahrter Gleichgültigkeit, aber manchmal kochte er auch zu einer solchen Feindseligkeit hoch, dass wir am liebsten alle ihre Sachen in den Abfall geworfen und den beiden Flugtickets ans andere Ende der Welt in die Hand gedrückt hätten.
Ich ging also in mein Zimmer, das mir nun viel muffiger und unordentlicher vorkam als heute Morgen. In der Türöffnung blieb ich stehen und schaute mich um, einwenig verwundert darüber, dass ich mich seit Mai fast ausschließlich in diesem Zimmer aufgehalten hatte, ohne dass mir aufgefallen wäre, wie mies es hier war. Geradezu deprimierend. Ich war auch vorher nicht besonders ordentlich gewesen, aber seit dem Amoklauf war hier monatelang überhaupt nichts mehr weggeräumt oder geputzt worden, wenn man von Moms großer Nick-Austreibung einmal absah.
Ich nahm ein Glas, das schon – na ja – seit einer ganzen Ewigkeit auf meinem Nachttisch gestanden hatte, und stellte es auf einen Teller. Ich beugte mich vor, zerknäulte ein Stück Küchenrolle, das ich achtlos auf den Boden geworfen hatte, und stopfte es in das Glas.
Für einen kurzen Moment überlegte ich, das Zimmer komplett aufzuräumen. Einen neuen Anfang zu machen. Eine große Valerie-Austreibung durchzuziehen, und zwar freiwillig. Aber dann glitt mein Blick über all die Klamotten, die zerknüllt auf dem Boden lagen, über die Bücher, die sich neben dem Bett stapelten, den Fernseher mit seinem verdreckten und eingestaubten Bildschirm und ich beschloss, es bleiben zu lassen. Es war einfach zu viel Arbeit. Meine Trauer ließ sich nicht mal eben wegräumen.
Ich hörte, wie Mom und Frankie unten in der Küche miteinander redeten. Moms Stimme klang schrill und angespannt, so ähnlich wie bei den Gelegenheiten, bei denen sie und Dad zu lange zusammen im selben Raum waren. Ich spürte einen Anflug von Schuldgefühlen, weil ich Frankie allein dort unten gelassen hatte und er ihren Frust voll abbekam. Zumal ich ja für ihre miese Laune verantwortlich war. Andererseits erwischte es Frankienie so schlimm wie mich. Im Grunde existierte er seit dem Amoklauf kaum noch. Niemand sagte ihm, wann er abends zu Hause sein sollte, er musste nichts im Haushalt machen, es gab überhaupt keine Grenzen für ihn. Mom und Dad waren viel zu sehr damit beschäftigt, sich zu streiten und sich Sorgen
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