Die Hassliste: Roman (German Edition)
Nick. Nicht du.«
Ich sank zurück in die Sofakissen und nahm einen Schluck von meiner Cola. Jemand klopfte an die Tür und gleich darauf streckte Dr. Hielers Sekretärin den Kopf herein.
»Ihr Drei-Uhr-Termin ist da«, sagte sie.
Dr. Hieler wandte seine Augen nicht von mir. »Sagen Sie ihm, dass sich bei mir heute alles ein bisschen nach hinten verschoben hat«, sagte er. Seine Sekretärin nickte und verschwand. Nachdem sie weg war, wurde mir die Stille bewusst, die sich zwischen uns im Raum ausdehnte. Ich konnte hören, wie im Vorzimmer eine Tür geschlossen wurde und wie jemand draußen im Flur redete. Ich war verlegen, fühlte mich nackt und konnte kaum glauben, dass ich eben wirklich alles einfach so rausgelassen hatte. Ich wollte mich wegschleichen und Dr. Hieler nie mehr ins Gesicht sehen müssen, wollte mich in mein Zimmer verkriechen und die Pferde auf der Tapete dazu bringen, mich irgendwohin zu entführen, mich wegzubringen an einen Ort, an dem ich mich nicht so verletzlich fühlte.
Aber dann ging mir auf, dass ich noch nicht fertig war –auch das mit einem gewissen Entsetzen, auch wenn ich nun vergleichsweise ruhig blieb. Da war noch mehr. Es gab dunklere, hässlichere Dinge, zu denen ich mich vorwagen musste. Dinge, die mich nachts heimsuchten, mich nicht in Ruhe ließen, wie ein Kitzeln im Ohr, ein juckender Fleck, der nicht genau auszumachen war und an dem ich mich nicht kratzen konne.
»Was ist, wenn ich es damals nicht ernst gemeint habe, aber jetzt vielleicht doch?«, fragte ich.
»Was denn ernst gemeint?«
»Die Hassliste. Kann doch sein, dass ich
gedacht
habe, ich wollte nicht, dass diese Leute sterben, aber irgendwo, keine Ahnung, im Unterbewussten, wollte ich es doch. Vielleicht hat Nick das gemerkt. Vielleicht hat er etwas über mich gewusst, das nicht mal ich selbst wusste. Vielleicht haben es alle gewusst und das ist der Grund, warum sie mich so furchtbar hassen – weil ich mich verstelle. Ich tue so, als wäre ich jemand, der ich gar nicht bin. Erst fange ich mit dieser blöden Liste an und dann lass ich Nick die Drecksarbeit erledigen. Darum, ich weiß ja nicht – vielleicht sollte ich jetzt doch ernst damit machen. Vielleicht würden sich dann alle besser fühlen.«
»Keiner würde sich besser fühlen, wenn noch mehr Leute sterben – du am allerwenigsten.«
»Die erwarten das von mir.«
»Na und? Wen kümmert, was sie erwarten? Was erwartest du von dir? Darauf kommt’s an.«
»Aber das ist es ja gerade, ich weiß nicht, was ich von mir erwarten soll! Alles, was ich überhaupt je erwartet habe, hat am Ende zu einem Haufen Scheiße geführt. Und ich glaube, die Leute sind enttäuscht, dass ich nichttot bin. Christy Bruters Eltern denken mit Sicherheit, ich hätte mich auch erschießen sollen, genau wie Nick. Die wünschen sich doch, Nick hätte besser gezielt, als er auf mich geschossen hat.«
»Sie sind Eltern und außerdem tief verletzt. Trotzdem bezweifle ich, dass sie dir den Tod wünschen.«
»Aber vielleicht wünsche ich ihr ja den Tod. Vielleicht gibt es einen Teil von mir, der schon immer gewollt hat, dass sie stirbt.«
»Val …«, sagte Dr. Hieler und sein Zögern machte mir klar:
Wenn du nicht aufhörst, so daherzureden, habe ich keine Wahl, dann muss ich dich wieder mit Dr. Dentley in der Psychiatrie einsperren lassen.
Ich kaute auf meiner Lippe. Eine Träne lief mir die Wange hinunter und nicht zum ersten Mal sehnte ich mich so sehr nach einer Umarmung von Nick, dass es wehtat.
»Es ist nur so, ich fühl mich wie ein total schlechter Mensch, weil ich mir sogar jetzt noch manchmal wünsche, er wäre nur im Gefängnis, damit ich ihn wiedersehen könnte«, sagte ich. Auf einmal überkam mich wieder die Erinnerung daran, wie Nick mich in seinem Zimmer an den Handgelenken gepackt, mich auf den Boden gedrückt und mir gesagt hatte, auch wir könnten manchmal gewinnen. Und wie er sich vorgebeugt und mich geküsst hatte. Ich saß auf dem Sofa und fühlte mich verlorener als jemals zuvor. Mir war auch kälter, als ich es je für möglich gehalten hätte. Und es kam mir so vor, als wäre von all dem Grauenhaften, was passiert war, das hier das Allerschlimmste. Und das war es tatsächlich, denn egal was passiert war, ich vermisste Nick immer noch.
Auch wir können manchmal gewinnen
, hatte er mir erklärt, und alsich diese Worte in meinem Kopf wieder hörte, fing ich an zu weinen, kläglich und voll Schmerz. Dr. Hieler setzte sich neben mich aufs
Weitere Kostenlose Bücher