Die Hassliste: Roman (German Edition)
schließlich sogar dabei, als es passiert ist, oder?«
Er war schon auf dem Weg zum Abfalleimer, verharrte dann aber kurz. Ich hielt seinem Blick stand.
»Ich bin in Ordnung, Frankie, echt«, sagte ich weich. »Ich werde davon nicht traurig, das versprech ich dir.«
Zögernd hielt er mir die Zeitung hin. »Okay, aber wenn Mom dich fragt …«
»Ja, schon klar, dann sag ich ihr, du hast dich verhalten wie eine Eins. Ich erzähl ihr irgendwas.«
Er nahm sein Geschirr und trug es zur Spüle. Ich ließ mich wieder am Tisch nieder und las den Artikel auf der ersten Seite.
SCHULBEHÖRDE SPRICHT VON WACHSENDEM GEMEINSCHAFTSGEFÜHL NACH DEM BLUTBAD
Von Angela Dash
Die Schüler der Garvin-Highschool, für die in der letzten Woche der Unterricht wieder begonnen hat, sind nach Aussage von Schuldirektor Jack Angerson mit einerdeutlich veränderten Weltsicht und einem neuen Verständnis füreinander zurückgekehrt.
»Falls irgendetwas, das mit dieser Tragödie zusammenhängt, auch nur im Entferntesten als gut bezeichnet werden kann«, sagte er, »dann ist es die Tatsache, dass die Schülerinnen und Schüler nun mehr Verständnis füreinander aufbringen und wirklich verstehen, was es mit dem altbekannten Ausdruck ›Leben und leben lassen‹ auf sich hat.«
Angerson zufolge kommt es vor, dass Jugendliche, die sich früher angefeindet haben, nun beim Essen zusammensitzen. Alte Feindseligkeiten werden begraben, da sich die Schülerinnen und Schüler auf eine neue, bewusstere Weise begegnen.
»Insgesamt geht es jetzt viel friedlicher hier zu«, sagt er. »Es gibt erheblich weniger Beschwerden über alltägliche Zwischenfälle als zuvor.« Disziplinprobleme im Unterricht gehörten ebenfalls der Vergangenheit an, berichtet Angerson, nach dessen Prognose disziplinarische Schwierigkeiten auch in den kommenden Jahren an der Schule mit hoher Wahrscheinlichkeit rückläufig sein werden.
»Ich denke, unsere Schülerinnen und Schüler beginnen zu begreifen, dass wir einander alle freundschaftlich verbunden sind. Dass sich gegenseitige Vorwürfe, vorschnelle Meinungsäußerungen und spontane Ablehnung, die so typisch für Jugendliche in diesem Alter sind, letztlich nicht bewähren. Bedauerlicherweise mussten sie dies auf sehr harte Weise lernen. Aber sie haben es gelernt und sich verändert. Darum bin ich sicher, diese Generation wird dafür sorgen, dass die Welt besser wird.«
Die Schülerinnen und Schüler konnten nun in die Schulräumlichkeiten zurückkehren, um das laufende Schuljahr abzuschließen. Allerdings räumt Angerson ein, dass die Lehrplaninhalte derzeit Nachrang haben gegenüber dem, was er als »Schadensbegrenzung« bezeichnet. Die Schulbehörden haben ein Team von ausgebildeten Beratungskräften bereitgestellt, das die Schülerinnen und Schüler bei der Bewältigung der Ereignisse des 2. Mai unterstützt.
Angerson betont, dass niemand zur Rückkehr in die Schule gezwungen ist. Abschlussprüfungen werden in diesem Jahr nicht durchgeführt und die Lehrer klären individuell mit jedem Schüler ab, wie eine Basis für die jeweils erforderliche Notengebung sichergestellt werden kann.
»Einige Lehrer bieten abends bei sich zu Hause Lerngruppen an oder treffen sich mit den jeweiligen Schülerinnen und Schülern in der Bibliothek. Andere haben Online-Lernprogramme eingerichtet. Aber viele Jugendliche sind zurückgekehrt«, schildert Angerson. »Einigen von ihnen ist die Identifikation mit ihrer Schule äußerst wichtig. Sie wollen zeigen, dass sie zur Garvin-Highschool stehen und sich von ihrer Angst nicht unterkriegen lassen. Ehrlich gesagt haben wir uns in erster Linie deshalb für die Wiederaufnahme des Unterrichts entschieden, weil uns dringliche Bitten aus dem Kreis der Schülerinnen und Schüler erreichten.«
Angerson sagt, er sei stolz darauf, dass seine Schülerinnen und Schüler der Garvin-Highschool die Treue halten, und er sei fest davon überzeugt, dass in diesen jungen Menschen zukünftige Führungspersönlichkeitenheranwachsen, die die Gesellschaft positiv beeinflussen werden. »Ich bin unendlich stolz darauf, dass sie die erste Welle einer Bewegung darstellen, die meiner Überzeugung nach eines Tages die Welt verändern wird«, führt Angerson aus. »Falls der Weltfrieden möglich ist, werden es diese jungen Leuten sein, die ihn bewerkstelligen.«
Ich schmuggelte den Artikel ins Büro von Dr. Hieler, mit dem ich später am gleichen Tag einen Termin hatte. Er hatte die Tür noch
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