Die Hebamme
ein S um ihre formschönen Ohrmuscheln schmiegte.
Professor Kilian fand großen Gefallen an dem, was ihn heute umgab. Er sah auf die wehenden Chemisen der Damen, deren zarte Farben im Tanz ineinander zu fließen schienen. Die Befreiung von den Korsagen war nicht nur hübsch zu betrachten, sondern war vor allem auch medizinisch zu befürworten – die Schnürbrust hatte den Frauen gesundheitlichen Schaden zugefügt. Man hatte von ärztlicher Seite viele vergebliche Warnungen äußern müssen, bevor die Mode ihr wesentlich effektiveres Diktat aussprach. Vor diesem Hintergrund fiel es leichter, den französischen Einfluss darauf zu ignorieren.
Die vorzeitige Rückkehr des Napoleon Bonaparte von seiner Ägypten-Expedition dagegen hatte die männlichen Gäste heute Abend in rege Gespräche gebracht. Besonders, nachdem die Tafel aufgehoben war und die Damen zum Tanz drängten, hielt es einige Herren beharrlich in kleineren und größeren Runden an den Tischen, um zu debattieren, welche Folgen zu erwarten waren, dass der Feldherr seine Truppen zurückgelassen und bei Fréjus, so sagte man, gerade wieder französischen Boden betreten hatte.
Kilian schließlich trieb es von diesen Erörterungen fort, da er keine Gelegenheit mehr sah, das Interesse auf Dinge zu lenken, die ihm derzeit näher lagen. Immerhin hatte sich während des Diners die Gelegenheit ergeben, mit Georg Siebert, dem Obersten Pfarrer der Lutherischen Gemeinde, sowie einem Kirchenältesten erste Gespräche aufzunehmen – in gedämpftem Plauderton, um niemanden zu brüskieren. Im Übrigen hielt er es auch für überflüssig, dass anwesende Kollegen anderer Fakultäten hörten, wovon er bei einem solch festlichen Anlass sprach. Man hätte es für geschmacklos halten können.
Homberg, dem der Professor die Einladung zu dieser Hochzeit verdankte, hatte nach seinem Besuch beim Landgrafen in den Spitzen der Stadt eine gewisse Vorarbeit geleistet. Der Richter, vom Landesherrn zum Geheimen Rat ernannt und seiner Präferenz versichert, was das Amt des Bürgermeisters anging, hielt es für klug, in dieser Sache so offen wie möglich vorzugehen. Der zu erwartende Erlass von Unzuchtstrafen sollte nicht unvorbereitet eintreffen. Und so wie es aussah, funktionierte diese Taktik. Kilian war jedenfalls auf maßvolle Skepsis gestoßen, als er dem Pfarrer darstellte, wie er in seinem Institut die Kirchenbuße aufzufangen gedachte.
Er hatte ein wenig gewartet, bis seine Tischdame damit fortfuhr, zur anderen Seite hin empört über Bad Pyrmont zu berichten: dass es schmutzig und teuer war und dass der Kursaal nur beleuchtet wurde, wenn man die Kerzen zahlte. Erst, als er sicher sein konnte, dass ihr Geplapper nicht abriss, hatte Kilian sich erneut dem Obersten Pfarrer zugewandt. Siebert war ein Mann seines Alters, doch von hagerer Statur, was dem länglichen Gesicht die tieferen Falten verschaffte.
»Seien Sie versichert, verehrter Herr Pfarrer«, hatte der Professor leise gesagt, »es ist unrichtig zu glauben, dass unser Institut der unehelich Schwangeren wegen da sei. Mitnichten. Die Schwangeren, ob verehelicht oder nicht, sind der Lehre wegen da. Und es ist keine Frage, dass sie vor Gott Buße ablegen müssen, wenn …«, er hatte hier seine Stimme noch ein wenig mehr gesenkt, »… sofern sittliche Verfehlung zu ihrer Schwangerschaft führte. Wir werden daher ein Betzimmer einrichten, und wenn Sie sich bereit fänden, einen Ihrer Pfarrer zu uns zu schicken …«
Der Kirchenmann hatte die gestreckten Zeigefinger seiner gefalteten Hände auf die Lippen gelegt, was Kilian vorsichtig innehalten ließen. Doch dann neigte der Oberste Pfarrer seinen Kopf und zeigte sich nachdenklich.
Unschlüssig schwenkte Kilians Blick an den Tanzenden entlang. Malvine und die Braut hatten sich wieder in die Reihe der Damen eingegliedert und drehten sich lächelnd ihren Gatten entgegen.
An der Stirnseite des Saales löste sich Caroline Fessler von ihrem Beobachtungsposten, denn sie fand, es war Zeit, beschwingt zum Angriff überzugehen. Sie dachte nicht daran, ihr Vorhaben von jemandem abhängig zu machen, der sie vorstellen würde.
Sie wusste bereits, wer der rundliche Herr mit den weißen Locken war. In den anliegenden Kniehosen, die vor allem die Beine älterer Herren zierten – und wovon den meisten in Anbetracht ihrer schwammigen Konturen abzuraten war -, nahm der Professor sich ausgesprochen gut aus. Der bouteillengrüne Spenzer mit der gelben Weste saß ihm durchaus stramm am
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