Die Hebamme
Strecken empfehlen sich gute Mitstreiter.« Auch Clemens wandte sich ab und blickte in die einsetzende Dämmerung hinaus.
»Kann ich also Gesa Langwasser Nachricht geben, dass sie wieder Aufnahme zur Prüfung finden wird?«
In seiner Brusttasche ruhte ein Papier, das er sorgsam gefaltet hatte, auf dem dieses Wort stand: Lieber, und sonst nichts.
Für Elgin gehörte es zu den freudigeren Ereignissen dieser Tage im Herbstmond, Agnes Büttner zum Ende ihrer Schwangerschaft hin aufzusuchen.
Der leichte Kattun eines ihrer bevorzugt grünen Kleider vermochte keine Falte mehr zu werfen über dem mächtigen Bauch. Selbst im Kerzenlicht des Schlafzimmers sah Agnes Büttner sehr weiß aus, viel durchscheinender noch, als sie es ohnehin schon immer gewesen war. Wenn sie das Halstuch ablegte, zeigten sich auf den Rundungen ihres Dekolletees blassblaue Linien wie gefrorene Flussläufe.
Ihr Haar allerdings glänzte in der Farbe von Granatapfelkernen. Sie sah zu den Kupferstichen auf der Kommode hinüber, die während der Schwangerschaft unter den Händen ihres Mannes entstanden waren. Eine wechselnde Auswahl der Abbildungen hatte sie stets erbeten, um sie wieder und wieder zu betrachten. So konnte sie mit ansehen, sagte sie, wie ihr Kind heranwuchs.
Sie fuhr mit den Fingern die Umrisse einer Abbildung entlang, die das Ungeborene in einer Lage zeigten, ähnlich wie Elgin sie an ihrem Leib ertastete und beruhigend erklärte. Still stand Agnes Büttner vor der Frau, die in diesen Tagen viel mehr ihre Hebamme war als die Auftraggeberin ihres Mannes. So still stand sie, bis Elgin ihr leise empfahl, es sei nicht vonnöten, das Atmen einzustellen, nur damit sie den Herzschlag des Kindes hören konnte. In einer der vergangenen Nächte, erzählte Agnes dann, hatte sie schnell nach Büttners Hand gegriffen, als das Kind sich regte, und er tat einen erschreckten Ausruf, als eine winzige Ferse nach ihm getreten hatte.
Büttner selbst bekam Elgin in jenen Tagen kaum zu Gesicht. Er verbarg sich und seine Nervosität, sagte Agnes. Sogar seine Arbeit an den Illustrationen für Elgins Buch hatte er unterbrochen, obwohl sie nahezu vollendet war. Stattdessen befasste er sich mit der Reproduktion eines Gemäldes aus Flandern, das weidende Ziegen und Schafe in römischen Landschaften zeigte – ein lang aufgeschobener Auftrag, der ihn jetzt beruhigte.
Ihre Mutter hatte aus Kirchhain eine mit Schnitzereien verzierte Wiege geschickt, die sich seit Generationen im Familienbesitz befand. Agnes nähte derzeit noch an einem kleinen Kissen, um es – wie Elgin ihr riet – mit Hirse zu füllen. Die Ankunft der Mutter selbst zögerte Agnes hinaus, denn war sie einmal da, würde sie ihr alles aus der Hand nehmen. Sie wollte keinen Hofstaat von Nachbarsfrauen am Geburtsbett, sagte Agnes, nur Ruhe, möglichst viel davon. Denn während Büttner, erschöpft von seinem nervösen Empfinden, des Nachts in tiefen Schlaf verfiel, rührte sich in ihrem zierlichen Körper das große Kind und hielt sie wach.
Wohl deshalb war sie oft so entsetzlich müde.
Zehn
OKTOBER 1799
Die Hochzeit von Lambert Fessler und Therese Herbst gestaltete sich zu einem gesellschaftlichen Ereignis, von dem noch die Rede sein würde in Marburg, wenn auch in anderen Zusammenhängen.
Die Trauung hatte sich in der bis auf den letzten Platz besetzten Lutherischen Pfarrkirche in einem Zeremoniell von besonderer Schönheit vollzogen. Der Organist spielte Kantaten von Bach, die Oktobersonne indessen mit den prachtvollen Farben der Kirchenfenster. Das vor Gott zusammengeführte Paar rührte durch seine Anmut. Nahestehende, die einen Blick auf ihre Gesichter erhaschten, wussten zu berichten, dass beide, Braut und Bräutigam, geweint hatten, als der Pfarrer die Trauformel sprach.
Mein Herz ist bereit, Gott, mein Herz ist bereit, dass ich singe und lobe. Denn deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.
Die weise gewählten Worte konnten selbst den sachlichsten Menschen vergessen lassen, dass diese Ehe – wie die meisten – gestiftet war. Auch, dass es in der Verlobungszeit Irritationen gegeben hatte.
Als das junge Paar aus der Kirche trat, staunten die Leute und waren entzückt. Die Braut trug ein Atlaskleid mit silbern gefasster Schleppe, das gelockte Haar war unter dem Myrtenkranz von einem ebenfalls silbernen Flor aus dem Nacken gebunden. Jene unter den Gästen, die einige Wochen zuvor nach Kassel gereist waren, um Friedrich Wilhelm III.
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