Die Heilanstalt (German Edition)
Obst. Nur der Duft von Kaffee fehlte.
Als er sich dem Buffettisch näherte, sah er ihn gedeckt mit jenen Speisen, deren Gerüche den Saal füllten. Vier große, silberne Behälter waren nebeneinander aufgestellt. In einem befand sich Rührei, in einem anderen Würstchen, im benachbarten waren Bohnen und im letzten Pfannkuchen. Es gab eine Käseplatte mit allen erdenklichen Sorten: Weiche zum Schmieren und Feste mit Löchern, manche rund und andere eckig, einige hell, andere dunkel. Daneben war eine Platte mit Wurst vom Schwein, Putenbrustscheiben, gekochtem und rohem Schinken und Salami. Es gab eine Glasschüssel mit roten und grünen Äpfeln, eine andere mit Bananen, eine dritte mit geschnittenen Wassermelonen. In einer Pfanne befanden sich gebratene Champignons, daneben waren Teller mit frischen Tomaten, Gurken und Paprikaschoten sowie ein Korb mit dunklem Brot. Am Ende des Tisches stand ein Tablett mit Bechern und einer großen Kanne. Eine Weile beobachtete er den hektischen Betrieb, sog die Speisedüfte in die Nase und schmunzelte vor Vorfreude über das eindrucksvolle Frühstücksbuffet. Dann schritt er an den langen Tisch, nahm ein Tablett, legte einen Teller mit Serviette und Besteck darauf und reihte sich in die Schlange. Er hatte solchen Hunger, dass er glaubte, ein ganzes Rind verschlingen zu können. Er bediente sich an allem, bis sein Teller so voll war, dass er sich schämte. Er wählte einen Platz, an dem er sich halbwegs unbeobachtet fühlte, und wollte gleich zu essen beginnen, um seinen Frühstücksberg auf ein normales Maß zu reduzieren. Bevor er aber die erste Gabel Rührei in den Mund stecken konnte, sprach ihn eine fremde Stimme an.
»Na, da ist aber jemand hungrig!«
Erschrocken sah er auf und blickte in das Gesicht einer jungen Frau, die in seinem Alter sein mochte, Anfang bis Mitte zwanzig. Sie war ausgesprochen attraktiv, hatte langes, brünettes Haar und braune, lebendige Augen.
»Kein Grund, sich zu schämen«, sagte sie mit Blick auf den Speiseturm auf seinem Teller. »Was nicht gegessen wird, landet sowieso in der Mülltonne. Darf ich?«
Sie machte Anstalten, ihm gegenüber Platz zu nehmen, worauf er hastig nickte und mit einer Hand wedelte. »Bitte!«
Er spürte, wie ihm heißes Blut ins Gesicht schoss. Sie bemerkte es und lächelte.
»Ich heiße Judith.«
Sie sah ihn in der Erwartung an, auch seinen Namen zu erfahren. Er öffnete den Mund zum Sprechen, stellte aber fest, dass sein Gedächtnis ihn nach wie vor im Stich ließ. Es war kaum zu glauben; sein eigener Name wollte ihm immer noch nicht in den Sinn kommen. Er kaute verlegen auf der Unterlippe und fühlte, dass sein Gesicht noch heißer wurde.
»Nicht so schüchtern«, sagte sie grinsend, beugte sich nach vorn und kniff die Augen zusammen. »Patrick.«
Anstatt ihr Lächeln zu erwidern, sah er sie nur verwirrt an.
»Auf deinem Gewand«, sagte sie und tippte sich auf die eigene, linke Brust. Verdutzt sah er an sich hinab und las die eingenähten, für ihn auf dem Kopf stehenden Buchstaben: Patrick Baumgartner.
Wie! , dachte er. Mein Name ist nicht …
Aber noch bevor er den Gedanken zu Ende geführt hatte, ließ er ihn wieder fallen. Natürlich war das sein Name, und er wollte über den vorübergehenden Gedächtnisverlust lachen.
»Nett, dass die Kleidung hier so einen individuellen Schliff bekommt«, sagte er.
Sie lachte. »So sollen wohl Verwechslungen vermieden werden. Manche Patienten leiden unter Zwangsneurosen und würden sich vermutlich mit dem Bettlaken erhängen, wenn sie erführen, dass sie die Kleidung eines Fremden getragen haben.«
»Aha.«
Sein Verstand war wie leer gefegt; er wusste nichts Geistreiches zu erwidern. Um der peinlichen Situation zu entfliehen, räusperte er sich und rückte den Stuhl.
»Ich habe Durst. Möchten Sie auch etwas trinken? Ich bringe Ihnen gern etwas vom Buffet mit.«
Sie winkte ab. »Nee, lass nur. Das einzige Getränk hier ist dieser Tee« Sie verzog das Gesicht vor Ekel. »Ich kann Tee nicht ausstehen, seit ich als Kind jeden Tag den widerlichen Pfefferminztee meiner Großmutter trinken musste. Das hat ein lebenslanges Trauma bei mir ausgelöst. Mein Therapeut empfiehlt mir den Tee zwar als Wundermittel des Hauses – und ich verspreche immer, ihn zu trinken – aber in Wahrheit hab ich die Kanne auf meinem Zimmer noch nie angerührt und trinke stattdessen Leitungswasser. Das ist zwar mit der Zeit ziemlich öde, bekommt mir aber wesentlich besser.«
Sie schürzte
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