Die Heilanstalt (German Edition)
Behälter steigen konnte, und zog dann mit beiden Armen an dem Schlauch, der aus Judiths Mund ragte. Er bestand aus Hartgummi und führte aus der Wand hinter dem Gefäß etwa dreißig Zentimeter weit in Judiths Hals. Janick entfernte ihn vorsichtig und hob Judith anschließend an den Hüften aus dem Behälter, sorgsam darauf achtend, dass sie sich nicht an den scharfen Splittern verletzte. Er ließ sie in seine Arme gleiten, trug sie ein Stück weit fort und legte ihren nackten, verschleimten Leib auf eine verdreckte Matratze.
Janick betrachtete sie sorgenvoll und streichelte ihre kalte Wange. »Was haben sie dir angetan?«, hauchte er.
Er fühlte an ihrem Hals einen schwachen Puls und neigte sich mit einem Ohr über ihren Mund; sie atmete. Janick hob eines ihrer Augenlider und entdeckte darunter nur eine milchige Masse. Er holte die Spritze hervor, die Thomas ihm gegeben hatte, und hielt sie unsicher zwischen Mittel- und Zeigefinger. Wie sollte er in dieser Düsternis Judiths Vene finden? Er sah sich nach einer Lichtquelle um, etwa einem Feuerzug oder einem Streichholz, aber konnte nichts Brauchbares entdecken. Endlich fiel ihm die Taschenlampe ein, die Thomas ihm zur Verteidigung gegen die Wesen gegeben hatte. Janick zog sie aus der Seitentasche seines Gewands, schaltete sie ein und richtete das Licht auf die Stelle zwischen Judiths Ober- und Unterarm. So gut es ging, wischte er den Schleim von ihrer Haut und entdeckte darunter die gesuchte Ader, die jedoch kaum zu sehen war. Janick steckte den Kolben der Spritze zwischen die Zähne, schlug einige Male mit der flachen Hand gegen das verengte Blutgefäß und drückte mit der anderen Hand Judiths Oberarm ab. Kurz darauf staute sich das Blut in der Vene, sodass sie deutlich hervortrat. Janick nahm die Spritze wieder zwischen Mittel- und Zeigefinger, legte den Daumen auf den Kolbenzug und setzte die Nadel auf die verdickte Ader. Er atmete tief durch und übte dann behutsam Druck auf die Nadel aus; nach kurzem Widerstand stieß sie in die Vene. Ganz langsam drückte er den Kolben mit dem Daumen herunter, sodass das dunkelgelbe Serum in Judiths Körper strömte. Nach etwa einer halben Minute hatte Janick ihr die gesamte Flüssigkeit verabreicht. Er warf die Spritze fort, streichelte Judiths blasse Wange und wartete auf die Wirkung.
»Komm schon … wach auf.«
Doch Judiths Gesichtszüge blieben reglos und ihre Augen geschlossen. Noch einmal fühlte er mit zitternden Händen ihren Puls und prüfte die Atmung.
»Wach auf, bitte!«, flehte Janick und liebkoste ihre Wange. »Ich lasse dich hier nicht zurück, hörst du? Du hast mir durch deine Nachricht das Leben gerettet. Bitte lass mich jetzt auch deines retten. Du hast geschrieben, du musst mich wiedersehen; wenn du die Augen aufmachst, wirst du mich sehen, mein wahres Ich, das du in den ersten Stunden unserer Begegnung kennengelernt hast. Wach auf und du wirst meinen richtigen Namen erfahren, an den ich mich dank dir wieder erinnere.«
Janick kniff die Augen zu und neigte sich schluchzend zu ihr hinab. Ohne sie lag ihm nichts daran, zu entkommen und sein Leben zu retten. Entweder würden sie zusammen fliehen oder gemeinsam an diesem Ort sterben. Als wäre dieser Gedanke wie ein belebender Funke auf Judith übergesprungen, riss sie plötzlich die Augen auf und sog vor Schreck die Luft ein. Sie stöhnte und sah sich hektisch um, als wäre sie aus einem furchtbaren Albtraum erwacht. Janick hielt sie fest und blickte in ihre zitternden Augen, die wieder eine erkennbare Iris hatten.
»Judith, ich bin’s! Sieh mich an!«
Sie ließ sich nicht beruhigen, wollte sich losreißen und wegrennen, so wie in den letzten Minuten, bevor man sie ergriffen hatte.
»Hab keine Angst, ich bin jetzt bei dir«, sagte Janick und sah sie eindringlich an. »Ich weiß, du erinnerst dich an mich.«
Judith kam allmählich zur Ruhe und erwiderte Janicks Blick. Sie betrachtete sein Gesicht voller Unglauben, so wie Janick kurz zuvor seinen Bruder angesehen hatte.
»Ich bin es«, wiederholte er leise.
»Patrick«, flüsterte sie und legte eine Hand auf seine Wange, als wollte sie sich vergewissern, dass sie kein Trugbild vor sich sah.
»Janick«, erwiderte er lächelnd und legte seine Hand auf die ihre. »Das ist mein richtiger Name.«
Judith sah ihn noch einen Moment zögernd an; dann brach sie in Tränen aus und hielt sich schluchzend an ihm fest.
»Janick«, raunte sie, wie um sich diesen Namen für immer einzuprägen. »Es tut mir so
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