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Die Heilanstalt (German Edition)

Die Heilanstalt (German Edition)

Titel: Die Heilanstalt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Geraedts
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Judith herauf, während der Fahrstuhl sie brummend nach oben beförderte.

Die Flucht
    Als die Aufzugtür sich im obersten Stockwerk mit einem sanften Surren zur Seite schob, fürchtete Janick, eines der Wesen würde bereits auf sie warten, um ihnen mit seiner gewaltigen Klaue den Kopf abzuschlagen. Doch der Flur war still und leer; einige Deckenlampen sorgten sogar für eine helle Beleuchtung.
    »Haben wir es geschafft?«, nuschelte Judith im Halbschlaf. »Sind wir diesem Biest entkommen?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Janick.
    Auch wenn die Kreaturen vermutlich nicht in dieses helle Stockwerk heraufkämen, bezweifelte er, dass sie hier in Sicherheit waren; sie befanden sich nach wie vor in der Heilanstalt und somit unter der Erde. Janick blockierte die Fahrstuhltür mit einem Pappkarton, half Judith auf und legte ihr einen Arm um die Schultern. Gemeinsam traten sie aus dem Aufzug in den Korridor, der nicht nur lichtdurchflutet, sondern auch sehr sauber war, fast so strahlend rein wie der Kern des Sanatoriums. Der Boden war mit cremefarbenem Linoleum ausgelegt, und die Wände glänzten in weißem Putz. An beiden Seiten des Flurs gab es je drei Türen. Am hinteren Ende führte eine Treppe hinauf; Janick hoffte, dass sie der ersehnte Weg zur Oberfläche war.
    »Hier war es«, hauchte Judith, während sie auf die Treppe zugingen. »Auf diesem Flur haben sie mich ergriffen.«
    Janicks Herz machte einen Satz; in seiner Angst vor den Kreaturen hatte er völlig jene verblendeten Menschen vergessen, die sich für Sicherheitskräfte hielten. Jeden Augenblick mochten die glatzköpfigen Männer aus einem der Zimmer stürmen. Janick ging schneller, auch wenn dies für Judith eine große Anstrengung bedeutete. Als sie die Treppe beinah erreicht hatten, bemerkte Janick, dass die letzte Tür auf der rechten Seite einen Spaltbreit offen stand. Vorsichtig lugte er in das Zimmer. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand dort war, führte er Judith hinein.
    »Was wollen wir denn hier?«, fragte sie müde. Doch die Antwort erübrigte sich, als sie den mit Essensresten reich gedeckten Tisch in der Zimmermitte sah. Außerdem befand sich in einer Ecke ein großer Schrank mit Mänteln, Stoffhosen und Stiefeln, die wohl einmal umherziehenden Menschen gehört hatten, bevor sie von den Wesen verschleppt worden waren. Möglicherweise waren gar Janicks Sachen darunter – immerhin lag seine Gefangennahme erst anderthalb Tage zurück –, aber natürlich hatte er keine Zeit, nach ihnen zu suchen. Stattdessen griff er beinah wahllos einige passende Kleidungsstücke heraus, die er mit einiger Genugtuung gegen das Gewand mit dem falschen Namen eintauschte. Derweil hatte Judith ein weißes Handtuch von der Rückenlehne eines Stuhls genommen, um sich von dem übel riechenden Schleim zu säubern. Anschließend nahm sie dankbar eine Hose und einen Mantel von Janick entgegen.
    Gemeinsam setzten sie sich an den Tisch und aßen von den alten, aber noch genießbaren Speisen. Der Vernunft nach war es Wahnsinn, so lange hierzubleiben; aber sie hatten eine lange Wanderung vor sich und mussten etwas essen.
    Nachdem sie sich gestärkt hatten, füllten sie ihre Manteltaschen mit einigen Äpfeln, Bananen und geschnittenem Brot. Als sie das Zimmer wieder verließen, sah Janick, dass der Aufzug unverändert durch den Karton versperrt war. Er wollte erleichtert aufatmen, doch dann fiel sein Blick auf die gegenüberliegende Zimmertür, die ebenfalls einen Spaltbreit offen stand. War sie es schon zuvor gewesen? Janick konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Er beschloss, darüber zu schweigen, um Judith nicht zu beunruhigen.
    »Verschwinden wir von hier«, sagte er nur und zog sie zügig hinter sich her.
    Judith war immer noch furchtbar müde, aber wieder so weit bei Kräften, dass Janick sie beim Gehen nicht mehr zu stützen brauchte. Sie liefen eilig auf die Treppe zu und bildeten sich bereits ein, den Duft der Freiheit wahrzunehmen. Doch plötzlich hallten Schritte von oben herab, ein hohles, beständiges Klackern. Janick und Judith blieben wie erstarrt stehen und wechselten einen bestürzten Blick.
    Es ist bestimmt Thomas , dachte Janick. Er hat auf uns gewartet, um sicherzugehen, dass wir es hinausschaffen.
    Aber es war nicht sein Bruder, der die Treppe herunterkam. Es war einer der drei Sicherheitsmänner. Sie sogen vor Schreck die Luft ein und wollten sich verstecken. Aber der stämmige Kerl hatte sie bereits entdeckt, lief die restlichen Stufen hinab

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