Die Heilerin des Kaisers
Heinrich, »glaubt mir das. Man hat Euch, wie ich aus Euren Worten ersehe, nur einen Teil der Wahrheit berichtet.«
Griseldis wusste nicht, wovon die Rede war. Der Herrscher gab seinem Gefolge ein Zeichen, dass es sich noch gedulden musste. Bald aber verstand die junge Frau, worum es sich gehandelt hatte.
Ein Wendenjunge hatte versucht, den König auf der Jagd mit seinem Dolch anzugreifen, war aber, ehe er zustechen konnte, von einem Knappen Herrn Heinrichs am wirren Haarschopf zurückgerissen und zu Boden geschleudert worden. Dabei hatte der Junge seine Waffe fallengelassen.
Der König hatte sie aufgehoben und war damit zu dem noch benommen auf der Erde liegenden Knaben hinzugetreten.
»Ich nehme nicht an, dass du, kleiner Wurm, dir eine Locke von meinem Haupthaar als Andenken hast abschneiden wollen«, hatte Heinrich in strengem Tonfall zu ihm gesagt. Der Junge hatte sich daraufhin zu einer sitzenden Haltung aufgerichtet und den hoch vor ihm aufragenden König trotzig angeblickt.
KAPITEL 64
»N EIN , GANZ GEWISS nicht! Das tun nur verliebte Weiber, ich aber bin ein Mann und ich wollte dir die Kehle durchschneiden!«, war des Burschen erboste Antwort gewesen.
»Das ist ein ehrliches Wort. Und nun steh auf«, befahl der König und furchtlos hatte sich der milchbärtige Wendenspross erhoben.
»Wie alt bist du überhaupt?«, erkundigte sich Heinrich interessiert und hielt dem noch kindlich wirkenden Knaben dessen eigenes Messer an die Gurgel.
»Vierzehn Lenze«, gab dieser schnell zur Antwort. Heinrich verstärkte ein wenig den Druck der Waffe auf den Adamsapfel des schlicht gekleideten Jungen, dessen lange, hellbraune Haare zu Zöpfen geflochten waren, die ihm über die Schultern fielen.
»So, so, vierzehn«, murmelte der König und es hatte beinahe ein wenig amüsiert geklungen. Er ließ dabei den etwa eineinhalb Kopf Kleineren nicht aus den Augen.
»Bevor ich dich aufhängen lasse, möchte ich wissen, ob du getauft bist, denn nach Kleidung, Haartracht und Aussprache des Fränkischen scheinst du mir zum Stamme der Wenden zu gehören. Und von denen sind die meisten leider immer noch Heiden.«
»Jawohl, ich bin ungetauft und stolz darauf«, rief der Knabe mit kippender Stimme – offenbar befand er sich gerade im Stimmbruch.
»Das erleichtert mir die Angelegenheit ungemein«, meinte Heinrich trocken. »Dann brauchen wir dir vor deiner Hinrichtung keinen Priester zu holen, dem du deine Sünden beichten kannst. Dadurch sparen wir eine Menge Zeit.«
»Soll mir recht sein«, murmelte der junge Wende tapfer. Er war aber mittlerweile totenblass und sein Mut drohte ihn zu verlassen. Im Lager war es zwischenzeitlich ringsum so still geworden, dass das Knacken der Zweige und jedes Rascheln der Blätter überlaut klangen.
Hinter dem Zelt des Königs entstand auf einmal Tumult. Die Rufe eines alten Mannes sowie die rauen Stimmen fränkischer Ritter waren deutlich zu hören. Heinrich und seine Begleiter blickten auf, auch der jugendliche Missetäter hob seinen Kopf und lauschte.
»Nur heran!«, rief der König und seine Knechte stießen einen etwa Sechzigjährigen vor sich her in Richtung des Herrschers.
»Auf die Knie, Alter«, befahl einer der Männer und drückte den Fremden grob zu Boden.
»Herr, Herr! Gnade und Gerechtigkeit«, jammerte der Greis, offensichtlich ebenfalls ein Wende, und hob flehentlich die Arme zu König Heinrich empor. »Mein Enkel ist erst zwölf, also noch ein Kind. Er wusste nicht, was er tat, Herr! Bestraft mich an seiner Stelle, um CHRISTI willen. Aber lasst den Knaben am Leben«, bettelte der Betagte.
»Was sagst du da, alter Mann?«, erkundigte sich Heinrich überrascht. »Du berufst dich auf JESUS CHRISTUS? Bist du etwa getauft?«
»Aber ja, Herr. Genau wie meine gesamte Familie. Ich heiße übrigens Audo, Herr.«
»Dann hat der Junge also gelogen«, murmelte der König.
»Diese wendischen Hunde lügen doch, wenn sie nur den Mund aufmachen«, meldete sich einer der Edelknechte Heinrichs zu Wort. Der Knappe, der den Alten herbeigezerrt hatte, pflichtete ihm eilfertig bei: »Lügner und Betrüger sind sie allesamt.«
Aber der König winkte barsch ab und die Männer verstummten augenblicklich.
»Ich lüge nie«, fuhr der Wendenjunge stolz dazwischen. »Das verbietet mir meine Ehre.«
»Du, Knabe, sprichst von Ehre?« Heinrich war verblüfft. »Dann sage mir doch, wie du es mit deiner Ehre vereinbaren kannst, deinen Glauben zu verleugnen und deinem König ans Leben zu
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