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Die Heilerin des Kaisers

Die Heilerin des Kaisers

Titel: Die Heilerin des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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beschrieben hatte, nicht auch im Deutschen Reich? Damit wäre es ein Kinderspiel gewesen…
    Müßige Gedanken. Abgesehen davon, dass sie dieses Gerät, falls sie denn ein solches besäße, gar nicht mit sich führte. Hatte sie doch nicht geahnt, es mit einer werdenden Mutter zu tun zu haben… Griseldis wandte ihre Gedanken erneut auf Hedwig und ihr Ungeborenes.
    ›Ich muss das Kind noch mehr drehen, damit die eine Schulter herausgleiten kann‹, sagte sie sich. An die Konsequenz, wenn auch dieser Versuch vergeblich wäre, durfte sie nicht denken. Noch nie hatte sie den Leib einer Schwangeren geöffnet, um deren Kind zu retten.
    »Heilige Jungfrau, Mutter GOTTES, bitte hilf uns!«, betete Griseldis jetzt laut. Niemals brächte sie es fertig, die Frau zu töten, um neuem Leben den Eintritt in diese Welt zu ermöglichen – auch wenn dies Vorschrift der Kirche war. Lieber würde Griseldis die Todsünde auf sich laden und das Kind ermorden…
    Beim Gedanken daran, wie sie das kleine, strampelnde Etwas mit den rötlich blonden Härchen, die deutlich zwischen den Schenkeln seiner Mutter zu sehen waren, in Stücke schneiden müsste, um das Weib von der todbringenden Bürde zu befreien, vergingen der Heilerin beinahe die Sinne.
    Beherzter noch als vorhin griffen ihre Finger in den geweiteten Geburtskanal. Taub gegenüber dem Gejammer der Kreißenden versuchte sie, das Kind zu wenden. Und siehe da! Es gelang.
    Hedwig rang mit weit offenem Mund nach Luft. Dann presste sie auf Griseldis’ Aufforderung ein allerletztes Mal und ein winziges Menschlein glitschte der Wehmutter in die aufgehaltenen Hände.
    Weder die todmüde Hebamme noch die völlig erschöpfte junge Mutter vermochten es im ersten Augenblick zu glauben. Hedwig hob erst nach einer Weile ihren Kopf und schaute zwischen ihre Beine. Da lag das Kind.
    »Ein gesundes Mädchen ist es«, sagte Griseldis mit belegter Stimme. »Du hast eine wunderschöne, kleine Tochter geboren, Hedwig.«
    Dann brachen beide Frauen in Tränen aus. Es waren dies Zähren der Freude sowie maßloser Erleichterung über das Ende der grausamen Anstrengungen. Griseldis legte das noch nasse Neugeborene der Mutter auf den nackten Bauch. Dann band sie mit einem mit den Zähnen von ihrem Hemd abgerissenen Stoffstreifen die pulsierende Nabelschnur zweimal ab, ehe sie diese mit ihrem scharfen Dolch durchtrennte.
    Noch atmete das Kind nicht selbständig, aber seine blauen Äuglein starrten in die großen, blaugrauen seiner Mutter und Hedwigs eben noch schmerzverzerrtes Gesicht strahlte wie die aufgehende Sonne.
    Griseldis verknotete den kleineren Teil der Nabelschnur, der noch an dem kleinen Mädchen baumelte, um das Fließen des Bluts zu unterbinden. Bei Hedwig waren aller Schmerz und alle Qualen vergessen. Mit leuchtenden Augen sah sie zu, wie die Heilerin das kleine Geschöpf an den Füßchen hochhob, um ihm auf das winzige Hinterteil zu klapsen. Das Neugeborene begann heftig protestierend zu quäken – der schönste Laut für beide Frauen.
     
    Später, nachdem Mutter und Kind versorgt und so gut es ging gesäubert im großen Bett lagen – Griseldis war mehrmals zu einem nahen Bach um Wasser gelaufen – und das Kind friedlich in Hedwigs Arm schlummerte, beantwortete die junge Frau, überglücklich und dankbar zugleich, ehrlich alle Fragen, die die Heilerin ihr stellte.
    Die Gefühle der Edlen von Tannhofen waren zwiespältig. Einerseits hatte sie unter großen Mühen neuem Leben in die Welt verholfen; andererseits sollte sie dieses jetzt dem Schicksal eines Bettelkindes überantworten. Wie es aussah, hatte die junge Mutter keinerlei Unterstützung zu erwarten. Ihre eigene Familie hatte sich von ihr losgesagt, als sie die Buhlerin des Nordheimers geworden war. Und auf keinen Fall würde die Sippe des schmählich hingerichteten Grafen die ehemalige Geliebte und ihren Bankert bei sich aufnehmen.
    Griseldis erwog sorgfältig das Für und Wider, ehe sie der blutjungen Mutter ihren Vorschlag unterbreitete. »Du weißt, Hedwig, du hast von deinen eigenen Leuten wie von Fremden kein Mitleid zu erwarten, sondern nur Häme und Ablehnung. Wie wäre es, wenn ich dir weiterhülfe?«
    »Ihr? Frau Griseldis, die Heilerin des Königs, will mir, der unbedeutenden, kleinen Hure eines Vogelfreien beistehen? Aber wieso?«, fragte Hedwig ungläubig.
    »Nicht aus falschem Mitleid, meine Liebe, sondern eher aus Trotz gegen die unbarmherzige Haltung vieler Menschen, die ohne zu überlegen auch die Unschuldigen – und

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