Die Heilerin des Kaisers
auf verschlungenen Waldwegen war Griseldis an der schlichten Holzhütte, die eher einem Viehunterstand denn einer menschlichen Behausung ähnelte, angekommen. Hier also sollte sich die Patientin befinden. Die Überraschung, die sich ihr bot, versetzte der Heilerin einen leichten Schock.
Das blutjunge Weib war keineswegs krank, sondern hochschwanger und stand allem Anschein nach kurz vor dem Gebären. Mühsam bewegte sie sich auf ihre Besucherin zu, schob aber dabei beinahe stolz ihren hohen Leib vor sich her. Griseldis überlegte fieberhaft.
Da man ihr nichts von einer baldigen Niederkunft gesagt hatte, war sie auf eine Geburt keineswegs vorbereitet. Niemals wäre sie sonst alleine hergekommen; benötigte sie doch etliche Helferinnen oder wenigstens eine erfahrene Frau. Sie konnte nur hoffen, dass es noch nicht so weit war…
Plötzlich, nach ein paar Begrüßungsworten, verharrte die werdende Mutter und blieb stocksteif, mit weit geöffnetem Mund inmitten der Hütte stehen. Sie hatte etwas sagen wollen, aber kein Laut drang aus ihrer Kehle. Griseldis sah, wie die Lippen der jungen Frau vor Schmerz bebten. Hilfe suchend streckte die Schwangere ihren rechten Arm nach ihr aus, mit der linken Hand fasste sie sich unter den Rock zwischen die Beine.
Als sie die Hand wieder hervorzog, erschraken beide Frauen.
»Du verlierst Blut, mein Kind«, sagte die Heilerin zu der jugendlichen Geliebten des Nordheimers, die ihr jetzt entgegentaumelte. Griseldis war bemüht, das Gewicht der anderen aufzufangen. Doch diese fand ihr Gleichgewicht wieder und stand nun da, nach vorne gebeugt und gleichsam in sich hineinhorchend, so, als spräche ihr Kind zu ihr. Dann blickte sie auf, nannte ihren Namen und dankte der Heilerin für ihr Kommen.
»Ja«, bestätigte sie dann Griseldis auf deren Frage, »es ist mein erstes Kind.« Gleich darauf verzerrte sich ihr hübsches Gesicht erneut – die nächste Wehe hatte sie überfallen. Sie keuchte und rang nach Luft. Als die Wehe vorüber war, umfasste Griseldis fest die Hüfte der jungen Frau und ganz langsam steuerten beide die Bettstatt der Gebärenden an.
»Bist du ganz allein hier, Hedwig?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte. Das junge Mädchen, beinahe noch ein Kind, nickte verbissen.
»Alle haben sich davongemacht, als sie bemerkten, dass der Nordheimer am Ende war«, sagte sie und klang dabei bitter. »Als er noch für die ganze Bande gut gesorgt hat, haben sie ihm die Füße geküsst.«
Griseldis verkniff sich einen Einwand. Weshalb sollte sie das arme Ding noch mehr aufregen? Es reichte, was ihr in den nächsten Stunden bevorstehen sollte…
»Wo ist der Stuhl?«, fragte sie sachlich und musterte den bis auf das breite Bett, einen Tisch und eine kleine Truhe leeren Raum.
»Was denn für ein Stuhl?« Die Frage des unerfahrenen jungen Weibes klang dümmlich.
»Ich rede vom Gebärstuhl, meine Liebe! Sag bloß nicht, ihr hättet keinen besorgt!« Griseldis war nun wirklich erschrocken.
»Hab nie von so was gehört«, gab Hedwig zur Antwort und stöhnte. Als sie das Gesicht der Heilerin sah, fügte sie widerwillig hinzu: »Bei uns gebären die Frauen auf dem Boden kniend.«
»Schon gut, mein Kind.« Griseldis bemühte sich um Gelassenheit. Geschwind riss sie aus der Bettstatt das Laken heraus und breitete es auf dem leidlich sauberen Bretterboden aus.
»Knie dich hin«, befahl sie dann kurz angebunden. »Ich muss mich vergewissern, wie weit du schon bist.«
Gehorsam ließ sich die Kindfrau unter Stöhnen und Ächzen auf die Knie nieder. Griseldis kauerte sich zu ihr auf das Betttuch und zog der Schwangeren als Erstes das hinderliche Gewand über den Kopf.
»Das Kleid stört mich«, sagte sie zur Erklärung und nahm ihr auch das Untergewand weg. »Am besten ist es, wenn du nackt bist.«
Dann machte sich die Heilerin daran, vorsichtig zu überprüfen, ob sich der Muttermund bereits geöffnet hatte oder ob sich nur ein Schleimpfropf gelöst und die leichte Blutung verursacht hatte.
Die junge Frau keuchte; gleich darauf wurde sie von einer neuen Wehe überfallen und sie verlor eine Menge Fruchtwasser.
›HERR im Himmel‹, dachte die Heilerin erschrocken, ›eine trockene Geburt ist das Letzte, was ich ihr und mir wünsche.‹
Die Abstände zwischen den Geburtswehen wurden immer kürzer. In den Pausen ließ sich die werdende Mutter jeweils zurück auf die Fersen fallen, um sich von der Anstrengung zu erholen oder um Wasser zu trinken, das Griseldis ihr in einem
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