Die Heilerin des Kaisers
kleinen Kopf und hielten ihn diesmal fest.
Er durfte auf keinen Fall wieder zurückgleiten in den Leib seiner Mutter. Und während sie dieses winzige Köpfchen mit einer Hand umklammerte, sorgte sie sich zugleich, dem Kind womöglich Schaden zuzufügen.
Um diesen Gedanken weiterzuverfolgen, blieb keine Zeit: Die nächste Wehe kam bereits. Jetzt musste die Austreibung erfolgen, sonst wurde es kritisch; das Kind konnte ersticken.
Obwohl Griseldis ihre uralte Medizintasche gründlich durchsucht hatte, hatte sie weder ein Wehenmittel gefunden noch etwas, das sie der Gebärenden gegen den Schmerz hätte verabreichen können, ohne ihr oder dem Kinde dabei zu schaden. Wieder kam ihr Frau Hiltrudes Niederkunft in den Sinn und sie glaubte, das scharfwürzige Bilsenkraut zu riechen…
›Warum, in aller Heiligen Namen, hat mir niemand verraten, dass es sich um eine Geburt handelt?‹ Diese Frage hatte sie sich bereits ein Dutzend Mal gestellt. ›Dann hätte ich…‹
Aber es war müßig, diese Art von Überlegung anzustellen.
»Ich ziehe jetzt am Körper deines Kindes!«, schrie sie der vor Schmerzen beinahe Ohnmächtigen ins Ohr. »Und du presse, so fest du kannst. Hole tief Luft und dann: pressen, pressen, pressen!«
Das Kind aber steckte fest und der tierische Schmerz drohte Hedwig schier zu spalten. Das Kleine bewegte sich kein bisschen. Aber das Allerschlimmste kam jetzt erst: Die Wehen blieben auf einmal aus. Hedwig lag jetzt auf dem Rücken, beinahe bewusstlos vor Erschöpfung.
›Heilige Mutter GOTTES‹, flehte Griseldis stumm, ›lass sie ihre Wehen haben, sonst sind das Kind und das Weib verloren.‹ Ihr war bereits regelrecht übel von der mit Ausdünstungen aller Art geschwängerten Luft in der Einraumhütte und sie kämpfte gegen den Brechreiz an. ›Alles, nur das nicht‹, dachte sie. ›Eine Hebamme, der schlecht wird und die sich übergibt, wäre wohl das Schlimmste, was der Ärmsten widerfahren könnte.‹
Um dies zu verhindern, sprang Griseldis auf, lief die paar Schritte zur Tür der Hütte und riss sie auf. Begierig atmete sie die feuchte, aber warme Waldluft ein. Am Vormittag hatte es leicht geregnet und von den Bäumen tropfte es noch. Sie roch beglückt den Duft von Kiefernnadeln und von nasser Walderde. Nichts brächte sie dazu, diese Tür in nächster Zeit wieder zu schließen. In kurzer Entfernung sah sie ihr Pferd, angebunden an einem Baumstamm, friedlich grasend.
Hedwig protestierte dieses Mal nicht – vielleicht hatte sie das Öffnen der Tür gar nicht bemerkt. Griseldis drehte sich um und sah auf die junge Frau herunter. Wie tot lag sie da.
»Komm, ich helfe dir aufzustehen«, sagte sie zu Hedwig. »Ich werde dein Bett herrichten und dann wirst du dich drauflegen. Das Kinderkriegen auf dem Boden scheint mir ein gar zu mühseliges Geschäft zu sein – für dich wie auch für meinen Rücken. Mein Kreuz ist völlig lahm.«
Nach einer Weile hatten die beiden Frauen es geschafft und Hedwig lag auf ihrem Strohsack, über den Griseldis das von Fruchtwasser und Schweiß feuchte Laken gebreitet hatte. Aber in der armseligen Hütte fand sich kein zweites.
Und da! Der heiligen Jungfrau sei Dank, es kam eine neue Wehe. Die Kreißende biss mit den Zähnen auf das Stück Holz, das Griseldis ihr nun zwischen die Lippen geschoben hatte. Instinktiv presste Hedwig das Kinn auf die Brust. Die Muskelstränge an ihrem Hals schienen zum Zerreißen gespannt.
Griseldis, die eine Hand zwischen die Beine des Mädchens geschoben hatte, fühlte, wie der kindliche Körper ein Stück nach unten sackte und griff beherzt zu, wobei sie erneut den Kopf des Kindes umfasste. Dieser hatte sich zuvor wieder in den Leib der Mutter zurückgezogen, als sie ihn loslassen musste, um der Schwangeren aufzuhelfen.
»Sein Köpfchen ist draußen!«, rief sie der Gebärenden zu. »Jetzt noch einmal ganz fest drücken – dann schaffen wir es.«
Sie erkannte, dass sie die Schulter des Kleinen ein wenig drehen musste, um ihm das Geborenwerden zu erleichtern. Mit einer letzten Kraftanstrengung, die ein Äderchen in ihrem linken Auge zum Platzen brachte, presste die Geliebte des verfemten Nordheimers noch einmal mit der ganzen, ihr noch verbliebenen Kraft und Griseldis ihrerseits zog an dem Kind.
Ohne Erfolg. Die Leibesfrucht steckte fest.
Die Heilerin fühlte kalte Furcht in sich hochkriechen. Weshalb gab es diese sinnreichen Geburtszangen aus dem maurischen Spanien, die sie in ihrem medizinischen Werk Ars Medicinae
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