Die Heilerin des Kaisers
uns leider vor einigen Jahren für immer verlassen hat.«
»Oh!«, entfuhr es Griseldis. Woher in GOTTES Namen wussten diese Leute über ihre Familie Bescheid?
»Man hat uns glaubhaft versichert, Ihr wäret geartet wie Eure Mutter – nur viel klüger als diese – und täuschtet schlau Eure Umwelt, vor allem den König und seine Gemahlin. In Wahrheit wäret Ihr nur ein widerwilliges Glied jener unwürdigen Glaubensgemeinschaft, die sich Kirche nennt. So hat man uns jedenfalls erzählt. Wie es scheint, war dies ein Irrtum.«
»Jetzt begreife ich«, murmelte Griseldis betroffen. »Eure Informationen habt Ihr von Radegund, nicht wahr? Ihr habe ich von Dietlinde erzählt, die sich in der Tat in ihren letzten Lebensjahren von der heiligen Mutter Kirche ab-und dem Heidentum zugewandt hat.
Ich hatte aber eher mit den germanischen Heidengöttern gerechnet, denen meine Mutter sich anvertrauen würde, und weniger mit Eurem Kult. Was allerdings mich anbetrifft, Herr, da seid Ihr tatsächlich schlecht beraten worden. Ich werde mich nie vom wahren Glauben abwenden.«
Voll Leidenschaft hatte sie diese letzten Worte hervorgestoßen.
»Schade, aber nun gut. Wie Ihr wollt, Herrin. Wir jedenfalls hätten eine Person gut gebrauchen können, die dem König nahe steht und ihm ohne Schwierigkeiten Dinge verabreichen könnte, die es ihm erlauben, möglichst bald jenen heiß ersehnten Ort zu erreichen, den jeder Christ das ›himmlische Paradies‹ nennt.«
Griseldis erfasste ein regelrechter Schwindel bei dem Gesagten. Diese Menschen suchten eine Mörderin und hatten geglaubt, ausgerechnet in ihr ein williges Werkzeug zu finden!
»Ihr plant ein verabscheuungswürdiges Verbrechen und…«, setzte sie an, aber Timotheus unterbrach sie.
»Herr Heinrich ist ein Knecht der Kirche und umgibt sich hauptsächlich mit hohen Kirchenmännern, auf deren verderblichen Rat er hört. Er tut alles, um die Kirche und den christlichen Aberglauben in deutschen Landen zu stärken. Sogar die letzten sogenannten Heiden lässt er nun im Fichtelgebirge missionieren. Auch sie sollen zu Sklaven des obersten römischen Priesters werden. Wir können und werden dies nicht dulden!«
Laut und heftig war mittlerweile die vorher so angenehme Stimme geworden. Sie dröhnte durch das Rund der Grotte und das Echo wurde zusammen mit dem zustimmenden Geschrei der Priesterschar vielfältig von den glatt behauenen Steinwänden zurückgeworfen.
Griseldis wurde es eiskalt. Das Herz schlug ihr wie rasend in der Brust; sie konnte kaum noch atmen. ›Nur jetzt nicht ohnmächtig werden‹, dachte sie panisch. ›Ich muss einen klaren Kopf bewahren, sonst bin ich augenblicklich verloren. Sie planen einen Anschlag auf das Leben des Königs und haben mich zur Vollstreckerin ihres Todesurteils auserwählt. Warum nur?‹
Aber diese Frage war jetzt zweitrangig. Das Wichtigste war die ihr drohende Lebensgefahr: Unmissverständlich hatte sie ihren Standpunkt deutlich gemacht. Ohne Scheu hatte der Oberste Priester Timotheus von seiner Absicht gesprochen, den König ermorden zu lassen. Die Vertreter dieses eigenartigen Stierkultes konnten sie demnach gar nicht am Leben lassen…
Viel zu groß wäre die Gefahr, dass Griseldis den Herrscher von der ihm drohenden Gefährdung unterrichtete und dieser durch seine Krieger auch noch die letzten Anhänger des Mithraskultes auslöschen ließ. Sie war sich sicher, dass es sich hier um diesen aus Persien stammenden Kult handelte: Vater Berchtold hatte ihr einst davon erzählt.
Der Glaube an Mithras, einen mit der Sonne verbundenen Erlösergott, war von römischen Legionären auch in Germanien eingeführt worden. Trotz heftiger Bekämpfung durch die Kirche war es den Anhängern dieses Mysterienkults gelungen, an einigen wenigen Orten zu überleben und ihre Zeremonien zu feiern.
KAPITEL 71
A US DEN A UGENWINKELN heraus musterte Griseldis die weiß gekleidete Schar. Die Teilnehmer hatten mittlerweile ihre Kapuzen zurückgeschlagen.
›Alles Männer‹, fuhr es ihr durch den Kopf. ›Auch das stimmt mit Vater Berchtolds Bericht überein, dass Frauen von den heiligen Handlungen ausgeschlossen sind. Bei mir wollte man wohl eine Ausnahme machen, weil ich zu Besonderem, nämlich zum Mord an König Heinrich, ausersehen war.‹
Ihre Augen blieben wie gebannt an dem riesigen Stierhaupt hängen, das mit weit aus dem Maule hängender Zunge auf einer silbernen Schüssel lag. Das rituelle Schlachten und Opfern von Stieren passte jedenfalls
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